NMOSD und gMG: Lebensqualität von Betroffenen durch neuen Komplementinhibitor steigern?

gMG und NMOSD zählen zu den seltenen Autoimmunerkrankungen des Zentralnervensystems. Heterogene Symptome können zu einer Einbuße an Lebensqualität bei Betroffenen führen. Doch ein neuer Komplementinhibitor schenkt Hoffnung.

NMOSD und gMG: Autoimmunerkrankungen mit breitem Symptomkomplex 

Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) und die Myasthenia gravis sind seltene Autoimmunerkrankungen, die Defekte im Komplementsystem zur Folge haben. 

Beide Erkrankungen wirken sich sowohl auf Augen als auch auf Muskeln aus. Während es bei der NMOSD zu akuten Entzündungen des Sehnervs oder des Rückenmarks kommt, denen ein Krankheitsschub mit diversen weiteren Symptomen folgt, verläuft die generalisierte Myasthenia gravis (gMG) zumeist progredient.

Da Menschen mit NMOSD eine äußerst heterogene Symptomatik aufweisen, die von Sehstörungen bis hin zu Inkontinenz und Schluckauf reichen kann, ist eine Antikörpertestung zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen essenziell. Denn: Bei bis zu 40% der Patienten wird initial eine MS fehldiagnostiziert

Patientinnen und Patienten mit gMG berichten von einer belastungsabhängigen Muskelschwäche, die sich durch  okuläre und bulbäre Symptome (z.B. Doppelbilder, Dysarthrie), Atembeschwerden oder Ermüdung der  Extremitätenmuskulatur bemerkbar macht. Zur Diagnostik der Erkrankung  erfolgt bei Verdacht auf eine gMG nach einer ausführlichen Anamnese die Untersuchung der Muskelaktivität. Ein labordiagnostischer Nachweis von krankheitsspezifischen Autoantikörpern im Blut sichert die Diagnose ab.1-3 

Therapie der generalisierten Myasthenia gravis

Doch wie sieht eine mögliche Therapie bei den Erkrankungen aus? Die Komplementkaskade, B- und T-Zellen, der neonatale Fc-Rezeptor (FcRn) für Immunglobulin-G-Antikörper sowie Zytokine, die eine Rolle bei der Antikörperproduktion spielen, sind allesamt Zielstrukturen aktuell zugelassener Therapeutika für die Myasthenia gravis. Bei der generalisierten Myasthenia gravis liegen bei rund 85% der Patienten Autoantikörper vor, die gegen den Acetylcholinrezeptor (AChR) gerichtet sind. Die Komplementaktivierung besitzt eine Schlüsselposition in der Pathogenese dieser Erkrankung.4 

Verlängerte Wirkdauer durch die Modifikation von Eculizumab

Der erste für die Behandlung von AChR-Antikörper-positiver gMG zugelassene humane C5-Inhibitor ist Eculizumab. Eculizumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper mit hoher Affinität für das terminale Komplementprotein C5. Von ihm abgeleitet wurde Ravulizumab mit dem Ziel, therapeutische Serumkonzentrationen über den Zeitraum von 8 Wochen aufrechtzuerhalten. Der Einsatz des rekombinanten humanisierten monoklonalen Antikörpers Ravulizumab lieferte in den Phase-III-Studien CHAMPION-NMOSD (NCT04201262) und CHAMPION MG (NCT03920293) für die gMG und NMOSD überzeugende Ergebnisse und punktet nicht nur durch die verlängerte Wirkdauer, wie aus der CHAMPION-MG-Studie ersichtlich wird.4-6

Überlegenheit gegenüber dem Placebo bei gMG in der CHAMPION MG

Neben seinem Einsatz bei AChR-Antikörper-positiver gMG ist Ravulizumab für die Behandlung von Patienten mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie (PNH) und atypischem hämolytisch-urämischem Syndrom (aHUS) zugelassen. Bei all diesen seltenen Erkrankungen ging der Einsatz von Ravulizumab mit einer vollständigen terminalen C5-Komplementhemmung über ein 8-wöchiges Dosierungsintervall einher. Ergebnisse zur Behandlung von Patienten mit AChR-Antikörper-positiver generalisierter Myasthenia gravis lieferte die randomisierte, placebokontrollierte Phase-III-Studie CHAMPION MG. Insgesamt nahmen 175 Patienten in 13 Ländern an der Studie teil (Zeitraum März 2019 bis November 2020). Die Ravulizumab-Gruppe umfasste 86 Patienten, die Placebo-Gruppe 89 Patienten. Ravulizumab war dem Placebo hinsichtlich der Veränderung des Patienten-basierten MG-ADL-Gesamtwerts (Myasthenia Gravis Activities of Daily Living Profile) in Woche 26 überlegen (verglichen mit der Baseline).

In Deutschland kommt Ravulizumab als Zusatztherapie zu einer Standardbehandlung bei erwachsenen (AChR)-Antikörper-positiven Patienten mit generalisierter Myasthenia gravis zum Einsatz.4-6 

Therapie der NMOSD: Signifikante Reduktion des Rückfallrisikos 

Neben dieser seltenen neuromuskulären Autoimmunerkrankung hat der langwirksame Komplementinhibitor Ravulizumab im Mai 2023 die Zulassung für weitere seltene immunvermittelte Erkrankungen des zentralen Nervensystems erhalten, die unter der Bezeichnung "Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen" (NMOSD) zusammengefasst werden. Insgesamt zählen 6 Syndrome hierzu. Der Pathomechanismus von NMOSD beinhaltet die Aktivierung der Komplementkaskade durch Bindung von Aquaporin-4-Autoantikörpern an das Wasserkanal-Protein Aquaporin 4 auf Astrozyten. Als Folge hiervon kommt es zu einer Spaltung der terminalen Komplementkomponente 5 (C5) in das stark proinflammatorisch wirkende Anaphylatoxin C5a und in C5b. Letzteres ist der Koordinator  für die Bildung des Membranangriffskomplexes. Dies führt zur Zerstörung der Astrozyten und geht mit entzündlichen, demyelinisierenden Prozessen einher. Hiervon betroffen ist – neben dem Sehnerv – der Hirnstamm und das Rückenmark.

Die verschiedenen klinischen Manifestationen der Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen stellen oft eine diagnostische Herausforderung dar. Neben der namensgebenden Optikusneuritis können als Folge der Aquaporin-4-Immunglobulin-G-Antikörper-assoziierten Immunreaktion eine transverse Myelitis, ein Area-postrema-Syndrom oder ein Hirnstammsyndrom auftreten. Auch hier wirkt der rekombinante humanisierte monoklonale Antikörper Ravulizumab über die Hemmung der terminalen Komplementkaskade.

Untersucht wurde die Effektivität und Sicherheit von Ravulizumab bei insgesamt 58 Patienten mit AQP4-IgG-seropositiver NMOSD in der Phase-III-Studie CHAMPION-NMOSD. Hier zeigte sich, dass Ravulizumab  das Rückfallrisiko der Studienteilnehmer signifikant reduzierte.7-8 

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Rare Disease Day

230124-Rare-Disease-Day-Bann..Seit 2008 findet jedes Jahr Ende Februar der weltweite Tag der seltenen Erkrankungen statt. esanum begleitet den Tag und berichtet nicht nur über aktuelle Themen, sondern auch über mögliche Symptomkomplexe, Diagnostik, Therapieansätze und Orphan Drugs zur Behandlung von seltenen Krankheiten. Weitere Beiträge finden Sie im Themenspecial zum Rare Disease Day.

Quellen:
  1. Lascano AM. et al. (2021). Update in immunosuppressive therapy of myasthenia gravis. Autoimmun Rev. 2021 Jan;20(1):102712.

  2. Kang C. (2023). Ravulizumab: A Review in Generalised Myasthenia Gravis. Drugs. 2023 Jun;83(8):717-723. 

  3. Jarius S et al. Contrasting disease patterns in seropositive and seronegative neuromyelitis optica: A multicentre study of 175 patients. J Neuroinflammation. 2012;9:14.

  4. Vu T. et al. (2023). Summary of Research: Terminal Complement Inhibitor Ravulizumab in Generalized Myasthenia Gravis. Neurol Ther. 2023 Oct;12(5):1435-1438.

  5. Meisel A. et al. (2023). Long-term efficacy and safety of ravulizumab in adults with anti-acetylcholine receptor antibody-positive generalized myasthenia gravis: results from the phase 3 CHAMPION MG open-label extension. J Neurol. 2023 Aug;270(8):3862-3875.

  6. https://www.g-ba.de/downloads/91-1385-899/2023-09-21_Geltende-Fassung_Ravulizumab_D-878.pdf

  7. https://www.aerzteblatt.de/archiv/232447/Neue-Indikation-fuer-Ravulizumab

  8. Pittock SJ. et al. (2023). Ravulizumab in Aquaporin-4-Positive Neuromyelitis Optica Spectrum Disorder. Ann Neurol. 2023 Jun;93(6):1053-1068.