Als Maus hat man es gut – gesundheitlich. Jedenfalls, wenn man davon absieht, dass ein solcher Nager in der Nähe der medizinischen Forschung zumeist als Versuchstiere genutzt und in der Regel zu Untersuchungszwecken getötet wird. Aber wenn man bedenkt, welche gesundheitlichen Segnungen für unsere vierpfotige Verwandtschaft zur Verfügung stehen, möchte man dennoch manchmal gerne tauschen: Von der Verlängerung des Lebens selbst bis zur Heilung zahlreicher der seltensten Gebrechen, die uns Menschen plagen, reicht das Spektrum medizinischer Begünstigungen.
Wären wir also Mäuse, so könnten wir fast alles heilen? So ist es dann doch nicht. Schon weil die Frage eher umgekehrt zu stellen wäre: Wären die Menschen wie Mäuse, wären wir dann frei von therapeutischen Nöten? – Wohl nicht, wirft der erfahrene Leser medizinischer Fachzeitschriften ein. Denn was wurde nicht schon alles gelobt, gepriesen und als die Zukunft aller Therapien beim Menschen verkauft. Nur, um nach der Übertragung von der "befellten" auf die "nackte Maus", die "zweibeinige Ratte", also den Menschen, in die große Kiste vergeblicher Heilbemühungen entsorgt werden zu müssen. Menschen sind eben keine Nagetiere und deshalb ist Zurückhaltung angebracht, wenn es darum geht, Ergebnisse zwischen beiden Spezies übertragen zu wollen.
Aber wenn die renommierte "Gastroenterology" in ihrer aktuellen Ausgabe von einer geschlossenen Beweiskette schreibt, die durch eine Untersuchung an Mäusen erbracht worden sei, wie sie es tut? Wenn sie die Schritte, die von einer fettreichen Ernährung zur erhöhten Wahrscheinlichkeit führen, an einem kolorektalen Karzinom zu erkranken, bei der Maus im wesentlichen für bewiesen ansieht? – Dann lohnt die Lektüre auf jeden Fall – auch bei größter Zurückhaltung gegenüber der Bedeutung medizinischer Studien an Nagern für den Menschen.1
Chinesische Forschende um Jia Yang untersuchten Schritt für Schritt die Folgen einer fettreichen Diät (high fat diet, HFD) an zwei Mäusestämmen. Die Stämme repräsentierten entweder, nach Behandlung mit dem CRC-auslösenden Mittel Azoxymethan (AOM), sporadische Fälle von kolorektalem Karzinom (CRC) oder, in einer anderen, genetisch speziell vorbelasteten Linie, genetisch bedingtes CRC. Außerdem gab es eine Kontrollgruppe sowie eine Gruppe von keimfrei gezogenen Mäusen, die der Untersuchung der Effekte von Übertragung von Stuhl der ersten beiden Mausstämme diente.
Die Forschenden kamen zu den folgenden Ergebnissen:
Das Körpergewicht der HFD-Gruppen lag am Ende des 22-wöchigen Versuchszeitraums deutlich über dem der Tiere in der Kontrollgruppe (KG). Gleichfalls trat vermehrt CRC unter den HFD-Tieren auf, und die Tumoren wiesen durchschnittlich mehr Masse auf als die in der KG. Überwiegend traten Adenokarzinome auf. Unter den genetisch veränderten Mäusen auf HFD führte die Gabe von Antibiotika zu einer Verarmung der Darmflora und gleichzeitig zu einer deutlichen Abnahme der Tumoranzahl und -masse. Somit war die HFD zwar mit CRC assoziiert, jedoch beeinflusste der Zustand der Darmflora Häufigkeit und Größe der Tumoren.
HFD-Mäuse zeigten eine deutliche Verarmung ihres Mikrobioms. Unter den bei diesen Mäusen vermehrten pathologischen Keimen fielen besonders Alistipes-Spezies auf. Das pathologische Zellwachstum tendenziell hemmender Spezies, etwa von Parabacteroides, verarmte gleichzeitig, so dass sich unter der HFD insgesamt eine Darmflora einstellte, die das unkontrollierte Wachstum von CRC förderte.
Die Qualität der Barrierefunktion des Epithels wurde durch Messung von Lipopolysacchariden im Serum ermittelt, welche durch eine funktionierende Epithelbarriere weitgehend zurückgehalten werden. Insgesamt ergab sich, dass die HFD die Barrierefunktion des Darmepithels deutlich hemmt.
Durch Übertragung von Stuhl der Versuchsgruppen auf zuvor keimfreie Mäuse konnte gezeigt werden, dass die HFD das Spektrum der im Mikrobiom nachweisbaren Keime veränderte. Tumorfördernde Varianten traten vermehrt auf bei gleichzeitiger Ausdünnung tumorhemmender Spezies.
Die Studie zeigte weiterhin, dass die HFD zu einem deutlich veränderten Spektrum von Abbauprodukten (Metaboliten) im Darm führte. Insbesondere Lisophosphatidylcholin (LPC) und sein Abbauprodukt LPA traten vermehrt auf. Beide wurden durch weitere Untersuchungen innerhalb der Studie mit der Entstehung von CRC und der Schwächung der Barrierefunktion des Darmepithels in Verbindung gebracht.
Infolge der HFD-Ernährung wurden zahlreiche Onkogene hoch- und gleichzeitig viele Tumorsuppressorgene in den Mäusen herrunterreguliert.
Wie die Studie nachwies, kam es durch eine Stuhltransplantation auf keimfrei-gezogene Mäuse bei diesen zu pathologischen Veränderungen der Zellverbindungen sowie zu einer gesteigerten Zellproliferation.
Zusammengefasst bedeutet das, dass ein hoher Fettanteil in der Nahrung das Mikrobiom in eine tumorfördernde Richtung verändert. Das veränderte Mikrobiom führt zu einem veränderten Spektrum der nachweisbaren Metaboliten, die zusätzlich die Zellproliferation von Dickdarmzellen fördert und zugleich die Barrierefunktion des Dickdarmepithels schwächt.
Zwischen 30% und 70% des CRC-Risikos wird aktuellen Untersuchungen zufolge auf Übergewicht zurückgeführt, wie es insbesondere infolge der fettreichen Ernährung in westlich geprägten Ländern auftritt. Die vorliegende Studie konnte erstmals Schritt für Schritt nachweisen, wie eine HFD das Mikrobiom im Darm von Mäusen verändert und zusätzlich durch ein modifiziertes Spektrum von Metaboliten die Tumorentstehung fördert. Gleichzeitig wird die schützende Barrierefunktion des Darmepithels herabsetzt.
Nach Aussage sowohl der Editoren der Fachzeitschrift wie auch der direkt an der Studie beteiligten Wissenschaftler sind viele der Ergebnisse ohne weiteres auf den Menschen übertragbar bzw. wurden entsprechend bereits beim Menschen beobachtet. Der Schluss vom Maus-Modell auf die Tumorentstehung beim Menschen sei daher zulässig.
Die therapeutische Beeinflussung des Mikrobioms und der im Darm vorliegenden Stoffwechselprodukte könnte daher einen vielversprechenden Ansatz für die Verhinderung von CRC infolge einer fettreichen Ernährung darstellen, folgern die Studienautoren. Sie sollte deshalb als Mittel der CRC-Prävention beim Menschen unbedingt weiterverfolgt werden.
Referenzen: 1. Yang J, et al. High-Fat Diet Promotes Colorectal Tumorigenesis Through Modulating Gut Microbiota and Metabolites. Gastroenterology 2021; 162: 135-149. https://www.gastrojournal.org/action/showPdf?pii=S0016-5085%2821%2903439-9