Kongenitale Taubheit (DFNB9): Erfolgreiche Gentherapie endlich möglich?

Bisher waren Kinder mit kongenitaler Taubheit (DFNB9) auf ein Cochlea-Implantat angewiesen, da bis dato keine pharmakologische Behandlung für die Otoferlin-Taubheit vorlag. Eine Gentherapie könnte dies aber nun ändern.

Otoferlin-Taubheit: Synaptische Signalübertragung fehlerhaft 

Das OTOF-Gen kodiert für das Protein Otoferlin, welches entscheidend an der synaptischen Übertragung von Hörsignalen beteiligt ist. Bis dato gab es keine pharmakologische Behandlung für diese spezielle Formen der kongenitalen Taubheit (DFNB9). Für die hiervon betroffenen Kinder war der Einsatz eines Cochlea-Implantats die einzige Lösung – die direkte elektrische Stimulation der Hörbahn ermöglichte es ihnen, ihre Mitmenschen zu verstehen. Ein Haken des Cochlea-Implantats ist jedoch die fehlende frequenzspezifische Informationswiedergabe mit einem limitierten Lautstärkebereich. 

Bei der Otoferlin-Taubheit (DFNB9) ist, wie der Name schon sagt, lediglich das Gen für die Otoferlin-Produktion defekt. Das restliche Innenohr ist intakt und somit bis auf die fehlende synaptische Signalübertragung funktionsfähig. Die Hörfunktion konnte daher in der vorliegenden Studie durch die erfolgreiche Einschleusung eines humanen OTOF-Transgens mittels Adeno-assoziierten Virus (AAV) des Serotyps 1 wiederhergestellt werden.1,2

Die Forschungsgruppe aus China und den USA war nicht die erste gewesen, die mittels Gentherapie die Otoferlin-Taubheit (DFNB9) therapieren wollte. Prof. Dr. E. Reisinger hatte bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft bereits vor Jahren ein gentherapeutisches Projekt angekündigt, das eine verbesserte Injektionsmethode sowie eine Verbesserung der Transduktion von Hörsinneszellen bei OTOF-Mutation zum Thema hatte – alles jedoch noch im Mausmodell. Die Forschungsergebnisse der Arbeitsgruppe um Reisinger hatten den klinischen Erfolg beim Menschen erst möglich gemacht. Ihrer Forschungsgruppe war es mittels "Dual-AAV-Methode" zuvor gelungen, die Hörfähigkeit bei Otoferlin-Knockout-Mäusen wiederherzustellen.2 

Gentherapie-Erfolg bei kongenitaler Taubheit beruht auf guten Methoden

Die besagte Arbeitsgruppe forscht aktuell weiterhin an der Optimierung der Gentherapie bei OTOF-Mutation. Durch die Erforschung der Grundlagen sowie der Charakterisierung weiterer Taubheitsgene soll in Zukunft einem breiteren Patientenspektrum geholfen werden können.3 Bereits im Jahr 2012 hatte die Forschungsgruppe aus Tübingen über die Rolle von Otoferlin für die Reizweiterleitung beim Hörprozess berichtet.4 Im Jahr 2020 publizierten sie ein Review zur Einschleusung größerer Gensequenzen ins Innenohr mittels der "Dual-AAV-Methode". 

Bei dieser Methode stellt das Adeno-assoziierte Virus (AAV) den bevorzugten Vektor dar. Es dient als Shuttle zum Ersatz des defekten Gens für die Innenohrzellen und transportiert die kodierende Sequenz für das fehlende Protein in den Zellkern der Zielzelle. Bis zur Entwicklung der "Dual-AAV-Methode" war die eingeschränkte Ladekapazität (kodierende Sequenzen von < 4 kb) des Adeno-assoziierten Virus für Fremd-DNA ein Problem in der Gentherapie der kongenitalen Taubheit gewesen. Die Aufspaltung größerer cDNAs in zwei AAVs hat bereits in verschiedenen Geweben wie der Netzhaut, Muskulatur und der Leber zu Erfolg geführt. Die Co-Transduktion dieser Gewebe mittels Dual-AAV-Vektoren resultierte in der gewünschten Expression des Proteins in voller Länge. Mittels Dual-AAV-Ansatz war es möglich, die 6 kb große Otoferlin-cDNA in voller Länge erfolgreich in die inneren Haarzellen von Otoferlin-Knockout-Mäusen einzuschleusen, um so die Hörfähigkeit der Tiere wiederherzustellen.5

Die Rolle von Otoferlin für die Synapsen im Innenohr

Ein Jahr später publizierte die Arbeitsgruppe um Reisinger eine experimentelle Studie über die Funktion von Otoferlin für die korrekte Reifung von Synapsen sowie für die Erhaltung der inneren und äußeren Haarzellen. Sie untersuchten dies in einem Mausmodell für DFNB9. In diesem Mausmodell führte der Mangel an Otoferlin zu einer tiefgreifenden prälingualen Taubheit. Reisinger und ihr Forschungsteam fanden heraus, dass Otoferlin für die korrekte Synapsenentwicklung in der unreifen Cochlea von Nagetieren erforderlich ist. Ohne dieses Protein verzögerte sich das synaptische Pruning. Dies ging einher mit einer Abnahme der Synapsen pro innerer Haarzellen (IHC). Der Verlust der IHCs betraf vorwiegend die basalen Aspekte der Cochlea. Im Vergleich zu den Wildtyp-IHCs konnte ein altersbedingter Verlust von IHCs im Mausmodell für DFNB9 von 75 % beobachtet werden.6

Die erste erfolgreiche Gentherapie bei kongenitaler Taubheit wurde mittels AAV1-hOTOF-Gentherapie an insgesamt sechs Kindern durchgeführt. Hierzu wurden zuvor zwischen dem 19. Oktober 2022 und dem 9. Juni 2023 425 Teilnehmer auf ihre Eignung hin geprüft. Fünf der mittels Gentherapie behandelten Kinder erhielten eine Dosis von 1-5 × 1012 Vektorgenomen. Ein Kind erhielt eine viel höhere Dosis von 9 × 1011 Vektorgenomen. Die Follow-up-Zeit betrug 26 Wochen. Es zeigte sich keine dosislimitierende Toxizität und es traten keine schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse auf. Eine verringerte Neutrophilenzahl konnte bei einem Kind als unerwünschte Nebenwirkung Grad 3 gemessen werden. Bei fünf der sechs Kindern erholte sich das Gehör. Dies ging mit einer Verringerung der durchschnittlichen Schwellenwerte der auditorischen Hirnstammreaktion (ABR) bei 0-5-4-0 kHz um 40-57 dB einher. Das Kind mit der höchsten Dosis an Vektorgenomen (9 × 1011) zeigte eine Verbesserung der durchschnittlichen ABR-Schwelle von mehr als 95 dB bei Studienbeginn auf 68 dB nach 4 Wochen, 53 dB nach 13 Wochen und 45 dB nach 26 Wochen. Bei denjenigen Kindern, die Gehör wiedererlangen konnten, verbesserte sich das Sprachverständnis.1

Es war ein langer Forschungsweg bis hierhin. Dennoch sollte eine Optimierung der Methoden, eine längere Follow-up-Zeit sowie eine größere Anzahl an Patienten für kommende klinische Studien in diesem Bereich angestrebt werden. 

Referenzen:
  1. Lv J. et al. (2024). AAV1-hOTOF gene therapy for autosomal recessive deafness 9: a single-arm trial. The Lancet, 403(10430), 113-122.
  2. https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/416116807?context=projekt&task=showDetail&id=416116807&#:~:text=Otoferlin%20wird%20für%20die%20synaptische,stimuliert%20und%20damit%20Sprachverständnis%20ermöglicht.
  3. https://www.medizin.uni-tuebingen.de/de/das-klinikum/einrichtungen/kliniken/hno/forschung/ag-reisinger
  4. Pangršič T. et al. (2012). Otoferlin: a multi-C2 domain protein essential for hearing. Trends Neurosci. 2012 Nov;35(11):671-80.
  5. Reisinger E. Dual-AAV delivery of large gene sequences to the inner ear. Hear Res. 2020 Sep 1;394:107857.
  6. Stalmann U. et al. (2021). Otoferlin Is Required for Proper Synapse Maturation and for Maintenance of Inner and Outer Hair Cells in Mouse Models for DFNB9. Front Cell Neurosci. 2021 Jul 14;15:677543.