Was bewirken Sommer-/ Winterzeit-Umstellung im Gehirn?

Seit 27. Oktober 2019 sind wir wieder zurück in der Winterzeit. Fällt Ihnen die Umstellung auf Sommerzeit auch jedes Jahr schwerer als auf Winterzeit?

Seit 27. Oktober 2019 sind wir wieder zurück in der Winterzeit. Fällt Ihnen die Umstellung auf Sommerzeit auch jedes Jahr schwerer als auf Winterzeit?

Dr. Beth Malow ist Neurologin und Leiterin der Abteilung für Schlafstörungen an der Vanderbilt Universität, Nashville, Tennessee. In einem aktuellen Beitrag im Journal of the American Medical Association erklärt sie, was die Zeitumstellung im Körper bewirkt und was Studien dazu sagen.1

Winterzeit war ursprünglich die Normalzeit

In Deutschland gab es eine Sommerzeit erstmals gegen Ende des Ersten Weltkrieges. Seither wurde sie von wechselnden Gesetzen mal abgeschafft, mal wieder eingeführt.
Das Europaparlament sprach sich bereits dafür aus, die Zeitumstellung 2021 abzuschaffen. Die Staaten könnten in Zukunft selbst entscheiden, ob sie dauerhaft Winter- oder Sommerzeit wollen.

Die Änderung ist aber weiterhin ungewiss, denn die EU-Länder müssten dieser mehrheitlich zustimmen, was im Moment nicht in Sicht scheint. Die Mehrheit der Staaten habe noch keine Position, hieß es aus Diplomatenkreisen in Brüssel. Es bestünde die Sorge, dass die Auswirkungen einer Änderung nicht ausreichend untersucht seien.2
Die Auswirkungen permanenter Sommerzeit sind bisher tatsächlich nicht breit erforscht, aber dass der Wechsel in die Sommerzeit nachteilige gesundheitliche Auswirkungen mit sich bringen kann, darunter kardiovaskuläre und cerebrovaskuläre, illustriert Dr. Malow anhand aktueller Studien.

So ist die Apoplex-Rate in den ersten beiden Tagen nach Zeitumstellung auf die Sommerzeit erhöht, wobei ältere Menschen, Krebskranke und Frauen besonders vulnerabel zu sein scheinen.3
Daten von über 100 Tsd. Personen zeigen zudem einen Anstieg der Myokardinfarkte um 5% in der ersten Woche nach Umstellung.4
Nachdem weitere Untersuchungen ergeben haben, dass die Menschen im Gefolge der Umstellung zunächst pro Nacht kürzer und qualitativ schlechter schlafen, meint Dr. Malow, dass die eben genannten Risikoanstiege Effekte von partiellem Schlafentzug, Änderungen der Sympathikusaktivität mit gesteigerter Herzfrequenz und Blutdruck und der Freisetzung proinflammatorischer Zytokine sein könnten.

Wechsel in die Sommerzeit fällt der Mehrheit schwerer als in die Winterzeit

Auch das in standardisierten Analysen erfasste subjektive Wohlbefinden litt unter der Umstellung auf die Sommerzeit, am ausgeprägtesten bei voll Berufstätigen und Männern.
Eine kleine Studie stellte außerdem bei Studenten längere Reaktionszeiten, erhöhte Vigilanzlücken und vermehrte Tagesmüdigkeit fest. Die Untersuchung war auf die Woche nach der Zeitumstellung beschränkt, aber der Effekt von chronischem Schlafmangel auf Aufmerksamkeit, Verhalten, Lernschwierigkeiten, Depression und Selbstverletzung ist in detaillierten Übersichtsarbeiten beschrieben, die auch die Grundlage für die Empfehlungen der American Academy of Sleep Medicine bilden (u. a. regelmäßig 8–10 h Schlaf für Adoleszenten).
Dr. Malow meint, dass weitere Studien nötig wären, um zu analysieren, ob die Umstellung auf Sommerzeit weitere langfristige Assoziationen zum Schlaf bei Jugendlichen hat und zu gesundheitlich nachteiligen Effekten beiträgt.

Die zirkadiane Uhr ist eine selbstregulierende Feedback-Schleife, die von genetischen Faktoren kodiert wird. Die negativen gesundheitlichen Auswirkungen der Sommerzeit-Umstellung könnten mit Störungen der zugrundeliegenden genetischen Mechanismen zu tun haben, die an der Expression der zirkadianen Uhr beteiligt sind. Verschieben sich die Schlafenszeiten, kommt es zu einer globalen Störung der peripheren Genexpression und selbst der kurzfristige Schlafmangel, der im Zuge der Umstellung auftritt, könnte epigenetische und transkriptionelle Profile der Gene für die zirkadiane Uhr ändern.5,6

Fazit: Abschaffung der Umstellung auf Sommerzeit erscheint erstrebenswert

Während es noch unklar ist, wie gravierend eine Zeitumstellung von einer Stunde für ansonsten gesunde Menschen ist, hält Dr. Malow es für gut möglich, dass Personen mit extremen Ausprägungen von Chronotypen (ausnehmende Lärchen oder Nachteulen) oder Menschen mit Störungen des zirkadianen Rhythmik, ebenso wie Individuen mit neurologischen Erkrankungen oder Kinder und Jugendliche, deren Gehirne sich noch in der Entwicklung befinden, empfänglicher für die negativen Begleiterscheinungen der Umstellung auf Sommerzeit sein könnten.

Referenzen:
1. Malow, B. A., Veatch, O. J. & Bagai, K. Are Daylight Saving Time Changes Bad for the Brain? JAMA Neurol (2019) doi:10.1001/jamaneurol.2019.3780.
2. Letzte Zeitumstellung noch nicht 2019 - so geht es jetzt weiter. https://www.merkur.de https://www.merkur.de/politik/letzte-zeitumstellung-noch-nicht-2019-so-geht-es-jetzt-weiter-zr-10198082.html (2019).
3. Sipilä, J. O. T., Ruuskanen, J. O., Rautava, P. & Kytö, V. Changes in ischemic stroke occurrence following daylight saving time transitions. Sleep Med. 27–28, 20–24 (2016).
4. Manfredini, R. et al. Daylight Saving Time and Acute Myocardial Infarction: A Meta-Analysis. J Clin Med 8, (2019).
5. Cedernaes, J. et al. Acute sleep loss results in tissue-specific alterations in genome-wide DNA methylation state and metabolic fuel utilization in humans. Sci Adv 4, eaar8590 (2018).
6. Cedernaes, J. et al. Acute Sleep Loss Induces Tissue-Specific Epigenetic and Transcriptional Alterations to Circadian Clock Genes in Men. J. Clin. Endocrinol. Metab. 100, E1255-1261 (2015).