Explosiver Jahreswechsel: Wenn das Feuerwerk ins Auge geht

Silvester-Feuerwerke lassen bald den dunklen Dezemberhimmel erstrahlen. Doch dieses schöne Schauspiel hat auch Schattenseiten: schwere Augen- und Handverletzungen.

Warum das Böllerverbot zurückkehren sollte

Wer an Silvester und den Tagen danach Notdienst hat, wird nur den Kopf darüber schütteln, dass das bundesweite Böllerverbot letztes Jahr aufgehoben wurde. In der Silvesternacht selbst und am Morgen danach sind es meist junge alkoholisierte Männer, die mit einem fehlenden Finger oder einem verätzten Auge aus ihrem Rausch erwachen. Oft sind sie Wiederholungstäter bzw. in ihrem Freundeskreis hat es das Jahr zuvor einen Freund erwischt. Die Vernunft hat hier unlängst das Weite gesucht. Die explosive Mischung aus Schnaps, Pyromanie und einer bitterlich in die Länge gezogenen Sturm-und-Drang-Phase fordert hier pünktlich zum Jahreswechsel immer wieder ihren Tribut. 

Zwischen dem 1. und 4. Januar folgen dann die Kinder, die mit dem Feuerzeug der Eltern oder älteren Geschwister an Böllerresten mit viel zu kurzen Zündschnüren rumgezündelt haben. Neben diesen üblichen Verdächtigen gesellen sich dann noch Familienväter mit missglückten Feuerwerksbatterien und natürlich die mit Böllern beworfenen Partygänger und "Bystander" hinzu. 

Der Schutz dieser Menschen – durch eine Verlängerung des bundesweiten Böllerverbots – fällt dieses Jahr erneut weg. Wieso eigentlich? Es gibt so viele Gründe, das Böllerverbot sogar auszuweiten. Neben der Verletzungsgefahr kommt noch der Umweltschutz hinzu. Und seien wir mal ehrlich. Möchten wir wirklich explodierende Böller und Infektionszahlen durch das Kippen des bundesweiten Böllerverbots, nur um an Traditionen festzuhalten? Während der Pandemie gab es fast 90 % weniger Augenverletzungen durch Feuerwerkskörper. Das ist Fakt.3

Okuläre Verletzungen durch Feuerwerkskörper

Im heutigen Beitrag befassen wir uns mit den okulären Notfällen der Silvesternacht. Feuerwerkskörper vereinen gleich drei Schädigungsmechanismen miteinander: Mechanische, thermische und chemische. Die mit den Feuerwerkskörpern verbundenen Verbrennungen und Verätzungen stellen potenziell erblindende Augenverletzungen dar. Das Spektrum der okulären Verletzungen reicht von einfachen Augenoberflächenbeteiligungen über Augenprellungen bis hin zu Bulbusrupturen. Chemische Verletzungen des Auges können zu einer weitreichenden Schädigung des Hornhautepithels des vorderen Segments und der Limbusstammzellen führen. Das Letztere kann in einer dauerhaften ein- oder beidseitigen Sehbehinderung resultieren.4

Wie werden chemische Verletzungen der Augen behandelt?

Chemische Verletzungen des Auges erfordern – als echter okulärer Notfall – eine sofortige und intensive Untersuchung und Behandlung. Die "S1-Leitlinie der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft e.V. (DOG) und des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA)" liefert die Klassifikation für Verätzungen der Augen (nach Reim und nach Dua) und die wichtigsten Behandlungsschritte. Ist kein Augenarzt vor Ort, so kann der wichtigste Schritt in dieser Notfallsituation auch von einem anderen Arzt durchgeführt werden.5

"Beim Eintreffen eines Patienten mit Verätzung soll sofort eine Augenspülung und Reinigung von partikulären Resten erfolgen. Bei schweren Verätzungen soll doppelt ektropioniert und die Umschlagfalten inspiziert, ggf. gereinigt und gespült werden. Die Hornhaut und alle verätzten Strukturen sollen dann intensiv gespült werden."5

Offene Augenverletzungen durch Feuerwerkskörper

Liegt eine Bulbusruptur bzw. eine bulbuseröffnende Schwerstverletzung durch die Einwirkung des Feuerwerkskörpers vor, so sollte der Patient direkt von einem Augenchirurgen behandelt werden. Hier erfolgt die Erstversorgung des Auges ausschließlich durch den Augenarzt, da okuläre Strukturen ungeschützt im Verletzungsspalt liegen können.6

3-Jahresdaten der deutschlandweiten Umfrage zu Verletzungen durch Feuerwerkskörper 

Hier noch die wichtigsten Daten einer deutschlandweiten Umfrage (51 Augenkliniken) zu Augenverletzungen durch Feuerwerkskörper: Bei den Verletzungen der Augen durch Feuerwerkskörper überwog das männliche Geschlecht: Rund ¾ der Patienten waren Männer. Am häufigsten waren Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene betroffen. Den 3-Jahresdaten zufolge lag der Anteil der Kinder und Jugendlichen sogar bei erschreckenden 30-39 %.7

Fast 90% weniger Augenverletzungen durch pandemiebedingtes bundesweites Böllerverbot 

Die Forschungsgruppe um Gabel-Pfisterer hat die Daten von insgesamt 2151 Betroffenen vor und während der Pandemie ausgewertet. Vor Beginn der Pandemie lag die Anzahl der Personen mit Augenverletzungen durch Feuerwerkskörper bei rund 500. Die Zahl sank drastisch auf 79 (Silvesternacht 2020/21) und 193 (Silvesternacht 2021/22).8

Mehr gibt es dazu nicht mehr zu sagen. Es stellt sich nur die Frage nach dem Sinn hinter dem Kippen des Böllerverbots. Auch hier scheint jegliche Vernunft längst das Weite gesucht zu haben.

Referenzen:
  1. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2020/12/silvesterfeuerwerk.html
  2. https://www.wa.de/verbraucher/f2-feuerwerk-silvester-verkauf-start-2022-boeller-aldi-kaufland-lidl-supermarkt-knaller-discounter-f1-91964630.html
  3. https://www.dog.org/augenverletzungen-durch-feuerwerkskoerper
  4. Singh P. et al. (2013). Ocular chemical injuries and their management. Oman J Ophthalmol. 2013 May;6(2):83-6.
  5. https://register.awmf.org/assets/guidelines/045-018l_S1_Akute-Veraetzung-am-Auge_2021-01_1.pdf
  6. https://www.dog.org/wp-content/uploads/2009/09/Leitlinie-Nr.-8-Verletzungen-des-Auges-und-seiner-Anhangsgebilde.pdf
  7. Gabel-Pfisterer A. et al. (2019). Dreijahresergebnisse der deutschlandweiten Umfrage zu Augenverletzungen durch Feuerwerkskörper. Der Ophthalmologe Ausgabe 12/2019.
  8. Gabel-Pfisterer A. et al. (2022). Feuerwerks-Verletzungen-Studiengruppe. Pandemiebedingtes Verkaufsverbot von Feuerwerkskörpern in Deutschland führt zu einer deutlichen Abnahme der Augenverletzungen [Pandemic-related sales ban of fireworks in Germany leads to a significant reduction of firework-related eye injuries]. Ophthalmologie. 2022 Dec;119(12):1257-1266.