SGLT2-Inhibitoren: fachmedizinische Aspekte aus hausärztlicher Sicht

Auf dem DGIM-Kongress 2023 beleuchteten drei niedergelassene Internisten und Diabetologen die verschiedenen Aspekte der Therapie mit SGLT2-Inhibitoren in Bezug auf diabetologische, kardiologische und nephrologische Krankheitsbilder.

Zusammenspiel aus kardiorenalen und metabolischen Erkrankungen

Alle Referenten betonen die erheblichen Überschneidungen von kardialen, renalen und metabolischen Erkrankungen. Dr. med. Dieter Burchert, Internist, Allgemeinmediziner und Diabetologe, gibt an, dass circa 76% der Patienten ein Mischbild der Erkrankungen zeigen. Dr. med. Georg Fröhlich, niedergelassener Internist und Diabetologe, verdeutlicht, dass Patienten mit Diabetes Mellitus Typ II ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre und renale Komorbiditäten haben. 

So sind kardiovaskuläre Erkrankungen die häufigste Ursache für Mortalität und Morbidität bei Typ II Diabetikern, welche ein 2,5-fach erhöhtes Risiko haben, einen Herzinfarkt zu erleiden1,2. Zusätzlich leiden 20-40% der Diabetiker an chronischer Niereninsuffizienz3. Das Vorliegen einer Herzinsuffizienz ist bei Patienten mit Diabetes Mellitus Typ II deutlich häufiger, zudem steigt die Mortalität. Die Gesamtprävalenz für Diabetes Mellitus in der Bevölkerung liegt bei circa 8,6%11.

Diabetologische Aspekte der Therapie mit SGLT2

Über die diabetologischen Aspekte der Therapie mit SGLT-2-Inhibitoren gibt Fröhlich dem Auditorium einen Überblick.

Zu den 4 Säulen der Therapie des Diabetes Mellitus gehören Blutzucker-, Blutdruck- und Lipidmanagement und Agentien mit kardiovaskulärem und nephrologischem Benefit. Hier kommen die SGLT2-Inhibitoren ins Spiel, welche sowohl den Blutzucker senken, als auch antihypertensiv wirken und eine nephro- und kardioprotektive Wirkung haben. SGLT2-Inhibitoren wirken durch die Induzierung einer Glucosurie antidiabetisch. Zudem wirken sie positiv auf eine Gewichtsabnahme. 

Der hohe Stellenwert der Medikamente spiegelt sich auch in der 2021 aktualisierten Versorgungsleitlinie wider, in welcher SGLT2-Inhibitoren neben Metformin bei Patienten mit Diabetes und erhöhtem renalen oder kardiovaskulären Risiko das Mittel der ersten Wahl sind. 

Die aktuelle Studienlage zur SGLT2-Hemmern

Fröhlich stellt mehrere Metaanalysen zu Endpunktstudien der verschiedenen SGLT2-Inhibitoren Empagliflozin, Dapagliflozin, Canagliflozin und Ertugloflozin vor und verdeutlicht hier, dass sowohl der 3-Punkt-MACE (Major cadiovascular events: kardiovaskulärer Tod, nicht tödlicher Schlaganfall, nicht tödlicher Herzinfarkt), als auch die Hospitalisation aufgrund von Herzinsuffizienz reduziert und das renale Outcome unter SGLT-2-Inhibitoren verbessert werden kann. Dies gilt beim Einsatz der Medikamente unabhängig vom Vorliegen eines Diabetes und unabhängig von einer zusätzlichen additiven Therapie mit Metformin4,5,6.

In einer in England durchgeführten Studie mit circa 57.000 Patienten wurden diese Effekte in der Realversorgung untersucht. Zusätzlich zu Metformin erhielten die Patienten einen SGLT2-Inhibitor. Es konnte in einem Beobachtungszeitraum von circa 2 Jahren gezeigt werden, dass es auch hier zu einer Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen, Schlaganfällen, Niereninsuffizienz und Hospitalisierung bei Herzinsuffizienz kam7.

Passend zu den Studienergebnissen haben SGLT2-Inhibitoren auch im ADA und EASD Konsensus Report  einen hohen Stellenwert. Hierbei spielt weniger der HbA1C-Wert eine Rolle, sondern das Komorbiditäts- und Risikoprofil der Patienten.

Zugelassene SGLT2-Inhibitoren 

In Deutschland zugelassene SGLT-2-Inhibitoren sind Empagliflozin, Dapagliflozin und Ertugloflozin. Alle Substanzen können bis zu einer GFR von 30 ml/min eingesetzt werden. Bei einer GFR > 60 ml/min kann Dapagliflozin sogar bis zu einer Dosis von 25 mg gesteigert werden, wobei der Benefit hierbei fraglich ist.  

Auch das Herz profitiert

Die kardiologischen Aspekte der SGLT2-Inhibitor-Therapie verdeutlicht Dr. med. Marcel Kaiser, ebenfalls Internist und Diabetologe.

Hierbei liegt ein Augenmerk auf den über die Blutzuckersenkung hinausreichenden Effekte der Medikamente.  So kommt es neben der Glucosurie und Gewichtsabnahme auch zu einer gesteigerten Natriumausscheidung. Hierdurch kommt es zu einer Reduktion des interstitiellen Volumens und damit zu einer Blutdrucksenkung. Ein weiterer Aspekt sei eine durch eine milde Ketonerhöhung möglicherweise gesteigerte Herzleistung8. In einem Tierversuch mit Mäusen konnte gezeigt werden, dass Empagliflozin die ATP-Produktion in myokardialen Mitochondrien erhöht. Mäuse mit Diabetes zeigten im Vergleich zu einer Kontrollgruppe einen deutlich geringeren ATP-Gehalt in den myokardialen Mitochondrien9.   

Auch Kaiser hebt die Ergebnisse der Empa-Reg Studie hervor: es zeigt sich, dass es unter einer Therapie sowohl zu deutlich reduzierten kardiovaskulären Todesereignissen bei Patienten mit manifester kardiovaskulärer Erkrankung kommt, als auch eine deutlich reduzierte Hositalisierungsrate aufgrund von Herzinsuffizienz zu erreichen ist. Spannend hierbei: die Hospitalisierungsrate aufgrund von Herzinsuffizienz sinkt sowohl bei Patienten mit, als auch bei Patienten ohne vorbestehende Herzinsuffizienz10.

Klassifikation der Herzinsuffizienz 

Kaiser gibt einen kurzen Überblick über die aktuell gültige Einteilung der Herzinsuffizienz. Dabei wird unterschieden zwischen HFpEF (LVEF > 50%), HFrEF (LVEF < 40%), HFmrEF (LVEF 41-49%) sowie HFimpEF (initial LVEF < 40%, dann Verbesserung  > 10%). Der HFpEF und HFrEF liegt meist eine unterschiedliche Genese zugrunde. Während eine HFrEF meist durch eine ischämische Kardiomyopathie bedingt ist (67%), sind Risikofaktoren für eine HFpEF die arterielle Hypertonie, Übergewicht und weibliches Geschlecht12. Dabei unterscheidet sich die Mortalität kaum: Mortalitätsrate bei HFrEF nach 5 Jahren 68% sowie bei HFpEF 65%13. Dazu passend zeigen die Studien Dapa-HF und Deliver sowie Emperor Reduced und Preserved jeweils ein deutlich reduziertes Risiko für einen kardiovaskulären Tod unter SGLT2-Inhibitoren, unabhängig von der EF14.

Therapieempfehlungen bei Herzinsuffizienz

Die American Heart Association empfiehlt bei HFpEF hinter Diuretika als zweitwichtigstes Medikament SGLT2-Hemmer. Bei der HFrEF werden nach European Heart Journal bei NYHA II-IV folgende 4 Klassen: ACE-Hemmer/AT1-Rezeptor-Blocker, ß-Blocker, Mineralorcorticoidrezeptorantagonisten, SGLT2-Hemmer, empfohlen. Durch die 4-fach Kombi kann das ereignisfreie Überleben deutlich verlängert werden15.

Die nephrologischen Aspekte der SGLT2-Inhibitoren

Dr. med. Dieter Burchert, Internist, Allgemeinmediziner und Diabetologe fasst für das Auditorium die nephrologischen Aspekte der Therapie mit SGLT2-Inhibitoren zusammen. Die Ursachen der chronischen Niereninsuffizienz (CKD) sind vielfältig, ein Großteil jedoch ist mit 42% durch das Vorliegen einer diabetischen Nephropathie begründet. Die zweithäufigsten Ursachen sind die Hypertonie und die Glomerulonephritis (je 18%)16.

Die CKD betrifft circa jeden 10. Patienten. Die Mortalität bei Vorliegen einer CKD verdoppelt sich bei Diabetikern17.

Niereninsuffizienz – was muss beachtet werden?

Wichtig in der Detektion von Nierenerkrankungen ist, nicht nur die GFR zu bestimmen, sondern auch eine mögliche Albuminurie zu untersuchen. Besonders junge Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion werden sonst bei noch normwertiger GFR häufig zu spät erfasst. Die chronische Niereninsuffizienz wird definiert als mehr als 3 Monate vorliegende Nierenschädigung.  

Wie wirken SGLT2-Inhibitoren auf die Niere?

Sowohl unter Dapagliflozin als auch unter Empagliflozin zeigte sich eine Risikoreduktion bezogen auf den Progress einer vorliegenden Nierenschädigung als auch in der Entwicklung einer terminalen Niereninsuffizienz18.

Den Wirkmechanismus der SGLT2-Inhibitoren auf die Niere beschreibt Burchert folgendermaßen: Durch eine veränderte glomeruläre Hämodynamik verändert sich das tubuloglomeruläre Feedback wodurch es zu einem Rückgang der Hyperfiltration kommt. Zudem verbessert sich die tubuläre Energiebilanz durch einen reduzierten ATP- und O2-Verbrauch im glomerulären Tubulus. Es kommt zu einer verstärkten Ketonkörpermetabolisierung. Außerdem wird die mitochondriale Dysfunktion reduziert und die Ketogenese erhöht. Durch die Natriurese wird der Blutdruck gesenkt und die interstitielle Flüssigkeit reduziert. Weiterhin kommt es zu einer reduzierten Inflammation und Fibrose. Als letzten Punkt nennt Burchert die neurohumoralen Effekte: Durch einen reduzierten Sympathikotonus sinkt der Blutdruck, die RAAS-Aktivierung wird ebenfalls reduziert19.

Als Nebenwirkung der Therapie mit SGLT2-Inhibitoren kann es zum vermehrten Auftreten von Genital- und Harnwegsinfekten, vor allem verursacht durch Mykosen, weniger durch bakterielle Infekte, kommen. 

Wirtschaftliche Aspekte

Neben dem Behandeln nach Leitlinie sind gerade für die niedergelassenen Kollegen die Nutzenbewertungen des gemeinsamen Bundesausschusses wichtig, um Regressen zu entgehen.

Hierbei gilt für die Verschreibung von SGLT2-Inhiboren, dass Ertugloflozin keinen Zusatznutzen hat. Dapagliflozin und Empagliflozin haben einen Zusatznutzen bei kardiovaskukären Risiken. Zudem gelten folgende Praxisbesonderheiten für Empagliflozin: Diabetes Mellitus und manifeste kardiovaskuläre Erkrankung sowie symptomatische HFrEF. Für Dapagliflozin gilt die Praxisbesonderheit bei chronischer Niereninsuffizienz. Hierbei werden die Kosten bei der statistischen Wirtschaftsprüfung aus dem Budget gerechnet. 

Fröhlich sagt "Kein Patient in meiner Praxis hat kein kardiovaskuläres Risiko", sodass der Zusatznutzen eigentlich auf alle Patienten zutreffe. Wichtig hierbei ist, die Risikofaktoren müssen auch für die Krankenkassen ersichtlich codiert werden.

Quelle:
  1. https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/nejm199807233390404 
  2. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/4835750/
  3. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25249672/
  4. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33031522/
  5. https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(22)02074-8/fulltext
  6. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33606884/
  7. https://drc.bmj.com/content/11/1/e003072
  8. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30132035/
  9. https://www.nature.com/articles/s42003-023-04663-y 
  10. https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/nejmoa1504720
  11. http://www.gutenberghealthstudy.org/ghs/overview.html?L=1 
  12. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/2008853/
  13. https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/nejmoa052256
  14. https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(22)01429-5/fulltext
  15. https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(20)30748-0/fulltext
  16. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30078514/
  17. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/23013602/
  18. https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2024816
  19. https://link.springer.com/article/10.1007/s11560-021-00511-4