Geruchsüberempfindlichkeit bei schwerer Migräne

Menschen mit schwerer Migräne sind häufig von Geruchsüberempfindlichkeit betroffen. Eine Studie untersucht Ursachen und Ansätze für neue Therapieformen.

Interview mit Dr. med. Gudrun Goßrau 

Neue Studie zu Geruchsempfindlichkeit bei Migräne

Gerüche können bekanntlich Migräneattacken auslösen. Eine neue Studie kommt nun zu dem Ergebnis, dass ein Drittel der Menschen mit schwerer und langjähriger Migräne offenbar dauerhaft geruchsüberempfindlich sind – auch zwischen ihren Migräneattacken. Am häufigsten als störend empfinden sie süßes Parfüm (36 Prozent), Essensgerüche (22 Prozent) und Zigarettenrauch (12 Prozent). Je länger und je stärker sie unter ihrer Erkrankung leiden, desto häufiger ist diese Überempfindlichkeit gegen Gerüche, genannt Osmophobie, festzustellen. Etwa 30 Prozent der Erkrankten nennen Gerüche auch als Auslöser für Migräneattacken.

Die neuen Daten stammen aus einer gemeinsamen Studie des Universitäts SchmerzCentrums (USC) und des Interdisziplinären Riechzentrums des Universitätsklinikums Dresden, die vor Kurzem im Journal of Headache and Pain veröffentlicht und auf dem DGN-Kongress vorgestellt wurde.1 Für die Querschnittstudie wurden 113 Personen (99 weiblich, 14 männlich) im Alter von 19 bis 78 mit episodischer oder chronischer Migräne befragt. PD Dr. med. Gudrun Goßrau erklärte in ihrem Vortrag:

"Diese Erkenntnisse können zu neuen Therapieansätzen führen, etwa einem strukturierten Riechtraining zur Desensibilisierung, das bereits in Dresden entwickelt wird."

Überempfindlichkeit gegen Gerüche bei schwerer Migräne am häufigsten

Bekannt war bisher, dass Menschen mit Migräne sehr häufig sensorisch empfindlich sind für Licht, Geräusche und Gerüche, die Migräneattacken auslösen können. Neu ist, dass Menschen, die schon länger an Migräne erkrankt sind und höhere Alltagseinschränkungen haben, häufiger eine Geruchsüberempfindlichkeit zeigen als weniger betroffene. Bei Migräneformen mit Aura tritt die Geruchsempfindlichkeit doppelt so häufig auf wie bei Formen ohne Aura. Neben süßem Parfüm, Essensgerüchen und Zigarettenrauch wurden von den Studienteilnehmern besonders häufig auch Abgase, abgestandene Raumluft, Blumenduft, Lack- und Gasgeruch erwähnt.

Desensibilisierungstherapie mit Rosen- und Zitronendüften

Das Vermeiden der Geruchstrigger könnte ein Ansatz für neue Therapieformen sein. Vielversprechender und nachhaltiger sei aber eine Desensibilisierung für unangenehme Düfte, wie sie aktuell am Universitätsklinikum Dresden erforscht wird, so Dr. Gudrun Goßrau. Dort finden auch therapeutische Studien statt. So trainierten Versuchspersonen ihren Geruchssinn regelmäßig mit z.B. Rosen- und Zitronendüften. Daraufhin nahm die Kopfschmerzstärke zwar nicht ab, aber die Schmerzwahrnehmungsschwelle stieg. Das heißt: Nach dem Riechtraining waren die Betroffenen weniger empfindlich für Schmerzreize. Diese Daten aus einer Studie mit Kindern mit Migräne wurden aktuell in einer Therapiestudie mit Erwachsenen mit Migräne bestätigt. Derzeit ist die Untersuchung der zugrundeliegenden Gehirnmechanismen mittels MRT ein Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchungen.

Neuronale Vernetzung von olfaktorischem und trigeminalem System

Einen Erklärungsansatz, warum Düfte Kopfschmerzen auslösen können, bietet die enge neuronale Vernetzung von Duft- und trigeminalen Schmerzsystem. Die Ergebnisse der aktuellen Studie legen nahe, dass die unangenehmen Düfte nicht nur den Riechnerv (N. olfactorius) aktivieren, sondern auch den Trigeminusnerv, der für die Schmerzwahrnehmung am Kopf verantwortlich ist. Im Versuch lässt sich nachweisen, dass eine Reizung des Trigeminusnervs Aktivitäten der olfaktorischen, also für Geruchswahrnehmung zuständigen Hirnareale auslöst. Auch die Riechschleimhaut ist von sensorischen Fasern des Trigeminus durchzogen. Bei Corona-Infizierten, bei denen längere und schwere Migräneschübe beobachtet wurden, nimmt man an, dass dies durch die Infektion der Riechschleimhäute und die Entzündung der Trigeminus-Nervenfasern durch SARS Cov-2 verursacht wird.

Schätzungen zufolge sind in Deutschland 8 bis 10 Millionen Personen von einer Migräne betroffen.2 Migräne ist weltweit in der Altersgruppe 15-49 Jahre auf dem ersten Platz aller Erkrankungen gemessen an der Beeinträchtigung (years lived with disability).3 

Quellen:
  1. Gudrun Gossrau, Marie Frost, Anna Klimova, Thea Koch, Rainer Sabatowski, Coralie Mignot, Antje Haehner. J Headache Pain. 2022 Jul 15;23(1):81. Interictal osmophobia is associated with longer migraine disease duration. doi: https://doi.org/10.1186/s10194-022-01451-7 
  2. Pfaffenrath V, Fendrich K, Vennemann M, et al. Regional variations in the prevalence of migraine and tension-type headache applying the new IHS criteria: the German DMKG Headache Study. Cephalalgia. 2009;29(1):48-57. doi: 10.1111/j.1468-2982.2008.01699.x
  3. Steiner T, Stovner L, Vos T, Jensen R, Katsarava Z. Migraine is first cause of disability in under 50s: will health politicians now take notice? J Headache Pain. 2018;19(1):17. doi: 10.1186/s10194-018-0846-2