Chronische Anämien im Kindesalter: Drei Krankheitsbilder im Fokus

Wie sehr chronische Anämien den Alltag betroffener Kinder und Jugendlicher prägen, zeigte Prof. Dr. med. Holger Cario auf dem KKJ-Kongress. Im Fokus: Sphärozytose, β-Thalassämie und Sichelzellkrankheit.

Das Wichtigste auf einen Blick

Sphärozytose: von mild bis schwer

Die hereditäre Sphärozytose ist die häufigste genetisch bedingte hämolytische Anämie in Mitteleuropa (75 % der Fälle autosomal-dominant vererbt, Prävalenz 1:2.000–5.000). Ursache sind Defekte in Proteinen des Zytoskeletts der Erythrozytenmembran, was zu Kugelzellen, verkürzter Überlebensdauer der Erythrozyten und folglich zu Hämolyse, , Hyperbilirubinämie und Splenomegalie führt. Mögliche Komplikationen sind hämolytische oder aplastische Krisen sowie Cholezystolithiasis.

Es wird zwischen schwerer, moderater und milder Sphärozytose unterschieden. Die Behandlung richtet sich nach dem Schweregrad: Während milde Verläufe oft keine spezifische Therapie erfordern, werden bei schwerer Ausprägung regelmäßige Transfusionen und (subtotale) Splenektomie notwendig. Moderate Verläufe kommen meist ohne dauerhafte Transfusion aus; hier wird die Entscheidung zur Splenektomie  individuell je nach Symptomatik und Milzgröße getroffen.

Alltagsbelastungen und Spätfolgen

Je nach Schweregrad sind insbesondere wiederholte Zugangsversuche bei kleinen Kindern, mögliche Eisenüberladung durch Transfusionen sowie zusätzliche Impfanforderungen belastend. Nach einer Splenektomie kommen oft eine langfristige Penicillinprophylaxe und potenzielle Spätkomplikationen wie ein erhöhtes Thrombose- oder Herzinfarktrisiko hinzu. Auch psychosoziale Aspekte dürfen nicht unterschätzt werden: Ein sichtbarer Ikterus führt bei Kindern nicht selten zu ständiger Rechtfertigung im Freundeskreis, die Splenomegalie kann sportliche Aktivitäten wie Kampfsport ausschließen, und Fragen rund um Berufswahl oder Krankenversicherung sorgen zusätzlich für Verunsicherung.

Thalassämie: Lebenslange Transfusion – und ihre Folgen

Im Mittelpunkt standen hier die schwereren Verlaufsformen der β-Thalassämie, insbesondere Thalassämia major und schwere Intermediaformen.

Ursache ist ein im β-Globin-Gen auf Chromosom 11, wodurch β-Globinketten vermindert oder gar nicht gebildet werden. Es entsteht ein Ungleichgewicht mit überschüssigen α-Ketten, das zu ineffektiver Erythropoese, Splenomegalie und sekundärer Eisenüberladung führt. Weitere Komplikationen sind Knochenmarkhyperplasie, Koagulopathien und extramedulläre Blutbildungsherde.

 Die Standardtherapie besteht aus Transfusionen alle drei bis vier Wochen bei Zielwerten von 9,5–10 g/dl.

Physische und psychosoziale Folgen für die Betroffenen

Nicht nur der organisatorische Aufwand – etwa zusätzliche Termine oder Schulfehlzeiten – stellt eine Herausforderung dar. Auch wiederholte periphere Zugänge und die langfristige Eiseneliminationstherapie, die mit teils erheblichen Nebenwirkungen einhergehen kann, verlangen viel ab. Trotz Eisenmonitoring bleiben Spätkomplikationen wie , Hypogonadismus, oder Leberfibrose häufig und schränken die Lebensqualität deutlich ein.

Sichelzellkrankheit: Zwischen chronischer Belastung und akuten Krisen 

Als dritte Erkrankung thematisierte Cario die Sichelzellkrankheit – eine qualitative Hämoglobinopathie mit akuten vaso-okklusiven Krisen und hieraus folgenden Organschäden. Ursache ist eine Punktmutation im β-Globin-Gen, durch die pathologisches Hämoglobin S gebildet wird. Dieses polymerisiert bei Sauerstoffabgabe, verformt die Erythrozyten, verkürzt deren Lebensdauer und verursacht Anämie und – mit Auswirkungen auf alle Organe.

Je nach Schweregrad und Verlauf der Sichelzellkrankheit stehen verschiedene Therapieoptionen zur Verfügung: Hydroxycarbamid hat sich als zentrale Basistherapie bewährt, während die Transfusionstherapie als Akutmaßnahme – z. B. bei Schlaganfall oder Thoraxsyndrom – zum Einsatz kommt.

Stammzelltransplantation und Gentherapie bieten potenziell kurative Ansätze, bleiben aber auf ausgewählte Einzelfälle beschränkt.

Komplikationen mit weitreichenden Folgen

Die Komplikationen durch die Erkrankung reichen von Schlaganfällen und Thoraxsyndrom bis zu chronischen Nieren-, Herz- oder Leberfunktionsstörungen. Hinzu kommen Einschränkungen in Schul- und Berufsleben sowie eine erhebliche psychische Belastung – etwa durch Folgeerkrankungen, aufwendige Therapien (z. B. Dialyse) und ständige Kontrolluntersuchungen. Auch die Angst vor erneutem Schmerz oder dem Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, prägt den Alltag vieler Jugendlicher.

Besonders kritisch: die Transition ins Erwachsenenalter, bei der laut Cario die Therapieadhärenz häufig abnimmt – mit entsprechend steigender Komplikationsrate.

Fazit

Chronische Anämien im Kindesalter sind mehr als ein hämatologisches Problem. Sie beeinflussen Bildungswege, soziale Teilhabe, Familienalltag und . Der Vortrag von Prof. Cario zeigte eindrücklich, wie wichtig es ist, die Erkrankung im Alltag der Betroffenen zu verstehen – und Therapieentscheidungen individuell und entwicklungsbegleitend zu treffen.

Quelle:
  1. Cario, Holger (Ulm). Vortrag: Chronische Anämien im Kindesalter. Sitzung: Diagnostik und Therapie von angeborenen Thrombozytopathien und chronischen Anämien im Kindesalter. Kongress für Kinder- und Jugendmedizin, Leipzig, 25.09.2025.