Wie die Medizin den Mars erobert

Noch nie war der Mars so greifbar nahe. Wir sind schon fast da. Doch die Medizin steht noch vor vielen Herausforderungen, bevor Menschen auf dem Roten Planeten landen können.

Eine interplanetare Reise aus medizinischer Perspektive erzählt

Übersetzt aus dem Französischen

Die Reise des Menschen zum Mars ist so fest in der kollektiven Wahrnehmung verankert, dass es beinah erstaunlich erscheint, dass sie noch immer nur Zukunftsmusik ist. Tatsächlich halten zahlreiche Hindernisse angehende Siedler davon ab, sich die atemberaubenden Klippen des Valles Marineris und damit den höchsten Canyon im Sonnensystem selbst anzusehen.

Eines der Hindernisse für eine derart lange Reise ist medizinischer Natur. Wie kann die physische und psychische Gesundheit der Besatzung gewährleistet werden, die sich an Bord des Raumschiffs einer äußerst lebensfeindlichen Umgebung ausgesetzt sieht? Wie kann die Gesundheit der Reisenden nach ihrer Ankunft am Zielort erhalten werden?

Die Reise zum Mars

Fast die gesamte Reise wird mit abgeschaltetem Antrieb durchgeführt, um Treibstoff für die beiden wichtigsten Phasen zu sparen: die Startbeschleunigung und das Abbremsen. Somit werden die sechs bis neun Monate interplanetarer Flugzeit in Schwerelosigkeit verbracht. Die Reisedauer hängt im Moment von den jeweiligen Positionen der Planeten und ihrer Entfernung zueinander ab. Während die Erde für einen Umlauf um die Sonne ein Jahr benötigt, braucht der Mars dafür 1,9 Jahre. Der optimale Zeitpunkt für eine Reise ist also alle 26 Monate, wenn sich die Planeten am nächsten sind.

Die Experimente auf der Internationalen Raumstation ISS haben in den letzten 20 Jahren viele Informationen über die Anpassungen des menschlichen Körpers an die Schwerelosigkeit geliefert. Dem Knochen- und Muskelschwund kann durch mehrstündige tägliche Übungen entgegengewirkt werden. In der Schwerelosigkeit treten aber auch andere problematische Phänomene auf, wie zum Beispiel bei der allgemeinen Verteilung von Körperflüssigkeiten. Diese sammeln sich im Oberkörper an, wodurch unter anderem das Sehsystem beeinträchtigt wird.

Die Folge sind eine Abflachung des hinteren Teils des Augapfels und Entzündungen an den Sehnervenenden. Dafür werden zwei Gründe angeführt: zum einen der erhöhte Blutdruck und zum anderen – laut neuester Erkenntnisse1 – der höhere Druck der Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit. Kompressionskleidung kann das Blut im unteren Teil des Körpers halten und den Druck auf den Schädel verringern.

Die längste Zeit, die je eine Astronautin oder ein Astronaut in der Schwerelosigkeit verbracht hat, beträgt 878 Tage im Verlauf von fünf Weltraummissionen. Das ist mehr als die Zeit, die für eine Reise von der Erde zum Mars vorgesehen ist. In der Wissenschaft wird daher vermutet, dass die gegenwärtig auf der ISS entwickelten Techniken es den Astronauten ermöglichen, auf einer künftigen interplanetaren Reise verhältnismäßig gesund zu bleiben.

Im Falle eines akuten medizinischen Notfalls ist die medizinische Grundausbildung, wie sie für die Besatzung der ISS vorgesehen ist, jedoch nicht ausreichend. Es besteht auch keine Möglichkeit zur Notfallevakuierung. An Bord der ISS wird man als Patient einfach in ein an die Station angedocktes Raumschiff gebracht und anderthalb Stunden später von ärztlichen Fachkräften auf der Erde versorgt. Bei einer Langstreckenreise ohne jegliche Möglichkeit der Unterstützung müssen zwei ausgebildete Ärztinnen oder Ärzte Teil der Besatzung sein, damit im Falle eines Ausfalls für Redundanz gesorgt ist und sich die Geschichte von Dr. Rogozov nicht wiederholt.

Je weiter sich ein Raumschiff von der Erde entfernt, desto mehr verzögert sich die Kommunikation. Zwischen Mars und Erde kann die Antwortzeit über 20 Minuten betragen (10 Minuten bis die Nachricht auf der Erde ankommt und ebenso lange bis die Antwort auf dem Mars empfangen wird). Im Falle eines medizinischen Notfalls muss die Besatzung daher praktisch autonom agieren.


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Medizin auf dem Mars

Nach der Ankunft ist die Crew den extremen Belastungen ausgesetzt, die man von einer derart anstrengenden Mission erwartet: Müdigkeit, Stress und Schlafmangel. Dabei lauern noch andere kleine und unsichtbare Gefahren auf die Reisenden.

Der Mars ist eine extrem trockene Umgebung mit schleifendem Staub, der wegen des elektrostatischen Effekts auch noch stark haftet. Draußen sind die Astronauten durch ihre Raumanzüge geschützt. Wie aber ließe sich verhindern, dass sich dieser Staub im Inneren der Marsstation ausbreitet? Buzz Aldrin konnte nach Apollo 11 den "Geruch" des Mondes beschreiben, weil die Anzüge der Astronauten bei ihrer Rückkehr mit dem Mondstaub Regolith überzogen waren. Zu den möglichen Gefahren dieses Staubs zählen Hautausschläge, Augenreizungen und mögliche Atemwegserkrankungen.

Für das menschliche Leben auf dem Mars gibt es eine weitere große Herausforderung, die dem bloßen Auge verborgen bleibt: die Strahlung. Die Erde hat eine Magnetosphäre, die vor dem Sonnenwind und vor allem vor der kosmischen Strahlung schützt. Sie besteht aus hochenergetisch beschleunigten Elektronen, Protonen und Atomkernen. Der Mars hingegen ist ein Planet, der sich schneller als die Erde abgekühlt hat. Sein Kern ist erstarrt und sein Magnetfeld erloschen, weshalb die Marsoberfläche kosmischer Strahlung ausgesetzt ist. Diese Problematik wird durch die dünne Marsatmosphäre noch weiter verschärft: Sie hat nur etwa 1% der Dichte der Erdatmosphäre und hält nur einen winzigen Teil des kosmischen Teilchenregens ab.

Auf dem Mars ist die Strahlenbelastung am Boden durchschnittlich 2,5 Mal so hoch wie die der Menschen auf der ISS. Eine dauerhafte Einwirkung dieser Strahlung erhöht das Risiko von Krebs, degenerativen Erkrankungen sowie von Schäden am Nervensystem. Auch die Entwicklung anderer Krankheitsbilder wie Katarakt2 oder Unfruchtbarkeit3 wird dadurch begünstigt. Erst kürzlich hat man herausgefunden, dass auch das Herz und das Herz-Kreislauf-System empfindlich auf Weltraumstrahlung reagieren können.4

Noch sind nicht alle Auswirkungen dieser Strahlung auf das menschliche Gewebe erforscht. Derzeit gibt es Fortschritte in diesem Bereich durch die Entwicklung von Chips mit Zellen, die im Labor hergestellt werden und die Reaktionen eines echten Organs auf verschiedene Belastungsarten simulieren sollen.5

Mens sana in corpore sano

Eine besondere Herausforderung besteht im Erhalt des seelischen Wohlbefindens der zukünftigen Raumfahrenden. Die Isolation und monotone Aufgaben, die unter Beobachtung durchgeführt werden, können für Einzelne zum Problem werden. Auch zwischenmenschliche Konflikte sind zu befürchten, darunter Gruppenbildung und Konkurrenzkämpfe, die zu Streitigkeiten innerhalb der Besatzung führen können. Als Leiter der Kon-Tiki-Expedition6 bezeichnete Thor Heyerdahl zwischenmenschliche Probleme als die größte schleichende Gefahr an Bord; er nannte das Phänomen "Expeditionsfieber".

Bereits in der Vergangenheit gab es Untersuchungen über die Umstände, die die Psyche und die Leistung der Besatzung eines Raumflugs zum Mars beeinträchtigen können. Einer der bekanntesten Versuche ist das russische Mars500-Experiment. Dabei lebten und arbeiteten sechs Teilnehmende7 über ein Jahr lang – für den Hinflug zum Mars wurden etwa 250 Tage veranschlagt – unter der zurückhaltenden Aufsicht der leitenden Forschenden des Programms zusammen. Mit Ausnahme des "irdischen" Luftdrucks und der hiesigen Schwerkraft ähnelten ihre Lebensbedingungen denen an Bord eines Raumschiffs (Isolation, Abgeschlossenheit, 20 Minuten Verzögerung bei der Kommunikation usw.). Als Höhepunkt der Expedition simulierte ein Teil der Besatzung eine "Landung" und verbrachte 30 Tage in einem Modul, das die Bedingungen an der Marsoberfläche nachahmte.

Zu den im Rahmen von Mars500 durchgeführten, über einhundert Tests gehörte auch das Experiment EARTH8 (Emotional Activities Related To Health). Das Ziel bestand darin, mögliche positive Auswirkungen von virtueller Realität auf die Stimmung und das geistige Wohlbefinden der Teilnehmenden zu untersuchen. Diese erhielten ein Headset und tauchten dreimal pro Woche in eine 3D-Umgebung ein, die sie entweder entspannen oder glückliche Gedanken auslösen sollte: Natur, ein Park mit Menschen und anderes. Im dritten Teil des Programms, dem "Lebensbuch", konnten die Teilnehmenden ein Tagebuch führen. Beim Schreiben wurden sie angeleitet, um möglichst positive Erinnerungen zu erzeugen.

Die Ergebnisse erwiesen sich als überzeugend. Laut Aussage der Teilnehmenden fühlten sie sich während des viermonatigen Experiments nicht unglücklich. Interessanterweise zeigten die regelmäßigen Messungen während des EARTH-Experiments, dass der Gemütszustand stabil war und dass die Werte für Ängste und Depressionen stets sehr niedrig blieben. Hierin spiegelt sich auch die Qualität der Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten für Mars500 wider.

Eine maßgeschneiderte Gen-Apotheke

Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die Herstellung von Arzneimitteln auf dem Mars. Anstatt eine ganze Apotheke für alle möglichen Probleme mitzunehmen, ließen sich die Gärten der Marsbasis nutzen. Diese liefern bereits einen Teil der benötigten Lebensmittel und des Sauerstoffs.

Dank der Fortschritte in der Genom-Editierung ist es durchaus denkbar, dass wir in Zukunft Gene synthetisieren können, die den Code für jedes beliebige Molekül enthalten. Werden diese Gene dann direkt in bestimmte Pflanzen injiziert, können diese die gewünschten Wirkstoffe produzieren. Das im Jahr 2017 von der NASA gegründete Forschungsinstitut für Weltraumtechnologien CUBES arbeitet unter anderem an derartigen "programmierbaren Pflanzen".9


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Prototyp eines hydroponischen Gewächshauses auf dem Mars (Quelle: NASA)
 

Referenzen:

  1. Macro- and microstructural changes in cosmonauts' brains after long-duration spaceflight
  2. Space radiation and cataracts in astronauts
  3. Radiation Effects on Astronautic Fertility in Space: Deep Space Policy
  4. Myocardial Disease and Long-Distance Space Travel: Solving the Radiation Problem
  5. Small Tissue Chips in Space a Big Leap Forward for Research
  6. Sechs Personen auf einem Floß, dem Kon-Tiki, schafften 1947 die Überfahrt von Callao (Peru) zum polynesischen Tuamotu-Archipel. Sie wollten zeigen, dass die Besiedlung Polynesiens von Südamerika aus möglich war. Die Mannschaft legte 8.000 km in dreieinhalb Monaten zurück.
  7. Teilnehmende kamen aus Russland, Frankreich, China und Kokumbien.
  8. Psychological countermeasures in manned space missions
  9. The Center for the Utilization of Biological Engineering in Space (CUBES)