Das Gender-Dilemma der deutschen Sprache
Gendergerechtes und korrektes Schreiben kommen nicht zusammen. Was machen wir also, wenn wir es nicht richtig machen können? Wir machen uns Gedanken. In diesem Fall hat das Ester Zakirova getan, die für unseren Bereich Editorial verantwortlich ist.
Gendergerecht schreiben, aber wie?
Wir behalfen uns bisher mit Gendersternchen, Unterstrichen oder Doppelpunkten, um Frauen gleichzustellen und intersexuellen Personen (für transidente Personen greift die gesetzliche Regelung “divers” nicht), sprachlich erst eine Existenz zu ermöglichen. Das Problem mit der gendergerechten Sprache besteht trotzdem weiter. Wir versuchen aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit weibliche, männliche und diverse Identitäten in Textform zu bringen und scheitern doch immer wieder an den unzureichenden Möglichkeiten, die die deutsche Sprache bietet.
Sprache ist ein Politikum. Das generische Maskulinum, das großzügig Frauen “mitmeint”, ist nicht mehr zeitgemäß. Nachvollziehbar, denn kaum ein Arzt würde sich “mitgemeint” fühlen, wenn esanum zum Beispiel ein Netzwerk “von Ärztinnen für Ärztinnen” wäre. Warum eigentlich nicht? Der Gedanke, sich nach all den Jahrzehnten des Mitgemeint-Seins mal abzuwechseln, ist ja an sich nachvollziehbar. So wie nach dem Abdanken von Angela Merkel auf den Sozialen Medien in zahlreichen Memes verkündet wurde: “Unsere neue Bundeskanzlerin heißt Olaf Scholz”. Wir könnten doch einfach dabei bleiben, oder?
Warten auf die sprachliche Wende
Nein. Durchsetzen konnte sich diese sprachliche Wende nicht, und auch bei uns findet die Idee, einfach das generische Maskulinum durch ein Femininum zu ersetzen, keine Mehrheit.
Wir machen uns dennoch weiterhin Gedanken, wie wir unseren Ärztinnen und Ärzten, Ärzt*innen oder Ärzt:innen ein angenehmes Lese- und Hörerlebnis bieten können, ohne einerseits einen großen Teil der Bevölkerung im sprachlichen Dunkel zu lassen, aber auch ohne andererseits die Les- und Hörbarkeit unserer Beiträge zu beeinträchtigen. Ein Dilemma - denn irgendwie kann man es ja nicht richtig machen.
Aus dem Grund haben wir uns für diese Stellungnahme entschieden:
- Erstens müssen wir anerkennen, dass es ein Problem gibt. Besonders, wenn Sprache das Werkzeug ist, mit dem man arbeitet, muss man das einsehen. Leider gibt es da keine einfache Möglichkeit zum Upgrade oder zum Wechsel des Herstellers. Wir müssen mit dem arbeiten, was wir haben.
- Zweitens ist es uns von Seiten des Bereichs Editorial ein Anliegen zu erklären, dass wir Geschlechtergerechtigkeit als unabdingbares Ziel für eine zukünftige Gesellschaft betrachten - und damit meinen wir nicht nur die Gleichstellung von Männern und Frauen, sondern die Gleichstellung aller Geschlechter in all ihrer Diversität und Differenz.
- Drittens wollen wir die Menschen, mit denen wir in Kontakt kommen, fragen, wie sie angesprochen oder bezeichnet werden möchten und uns danach richten.
- Viertens versuchen wir in unseren Beiträgen weibliche und männliche Formen möglichst gleichmäßig zu verteilen. Auf Sonderzeichen verzichten wir, bis es eine verbindliche sprachliche Regelung gibt, die dem ganzen Spektrum identitärer Vielfalt gerecht wird - oder Fantasie bei der Sprachgestaltung nicht mehr so verpönt ist.
- Fünftens halten wir es bis dahin mit dem Rat für deutsche Rechtschreibung, der in seiner Sitzung vom 26. März letzten Jahres seine Auffassung bekräftigt, “dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll und sie sensibel angesprochen werden sollen.” Dies sei jedoch gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe, die nicht allein mit orthografischen Regeln und Änderungen der Rechtschreibung gelöst werden könne. Weiterhin heißt es: “Der Rat hat vor diesem Hintergrund die Aufnahme von Asterisk („Gender-Stern“), Unterstrich („Gender-Gap“), Doppelpunkt oder anderen verkürzten Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinnern in das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung zu diesem Zeitpunkt nicht empfohlen.”
Besonders der Bereich Editorial hat lange Diskussionen geführt, ob wir die Nicht-Empfehlung des Rates für deutsche Rechtschreibung als Maßstab nehmen sollten. Schließlich geht es bei uns auch darum, wie Medizin gesellschaftlich und kulturell eingebettet ist und da spielt Sprache eine wichtige Rolle. Aus den oben genannten Gründen haben wir uns letztlich dafür entschieden und hoffen, nicht zuletzt mit unserer Themenwahl zu den gesellschaftlichen Prozessen beizutragen, die schließlich zu einer geschlechtergerechten Sprache führen.
Ester Zakirova, Senior Lead Editorial