Diabetes: Versorgungsalltag und Hype um die Abnehmspritze

Auf der Jahrespressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft gab es ein Diabetes-Update. Prof. Dr. Julia Szendrödi, Vizepräsidentin der DDG, erläutert Näheres im Interview.

Interview mit DDG-Vizepräsidentin Prof. Dr. Julia Szendrödi

esanum: Welche Rolle spielt Diabetes in der Krankenhausversorgung?

Prof. Szendrödi: Jeder fünfte Krankenhauspatient hat Diabetes. Das muss im System der Krankenhausversorgung immer mitgedacht werden, um eine sichere Versorgung mit hoher Qualität sicherzustellen. Festgeschrieben ist das leider noch nicht. Der Diabetes läuft dann einfach neben der Hauptdiagnose mit und wird nicht immer fachgerecht weiter behandelt. Geplant sind nun Vorhalteauschalen. Die könnten im Idealfall dafür genutzt werden, die Expertise überall sicherzustellen. Das Problem ist allerdings, dass sich die Berechnung der Pauschalen aus den Leistungsgruppen berechnen, die sich wiederum an den DRG-Pauschalen orientieren. Und da war es bislang so, dass die apparative Medizin höher vergütet wird, als die sprechende Medizin. Letztere ist für die Versorgung der Menschen mit Diabetes aber eben von großer Bedeutung. Das ist ein Thema, das unbedingt aufgearbeitet werden muss. Denn die Versorgung ist gerade ausgesprochen dynamisch - aufgrund der neuen Technologien, der neuen Möglichkeiten der Telemedizin und der medikamentösen Therapien. 

esanum: Was ist im Versorgungsalltag besonders problematisch für Diabetes-Patienten?

Prof. Szendrödi: Es beschäftigt uns schon sehr lange, dass die Vergütung der Versorgung für Menschen mit Diabetes nicht ausreichend ist. Das ist auch deswegen so wichtig, weil wir vulnerable Gruppen wie Kinder und multimorbide, ältere Menschen schützen müssen. Wenn ein älterer Mensch in einem allgemeinen Krankenhaus, das nicht die entsprechende Expertise hat, mit Lungenentzündung oder Harnwegsinfekt behandelt wird, kann eine Blutglukoseeinstellung stark eskalieren, bis hin zu lebensbedrohlichen Situationen wie einer Ketoazidose, wie eine metabolische Entgleisung. Auch bei Operationen muss man bedenken, dass eine Insulintherapie umgestellt werden oder eine Insulinpumpen-Therapie angepasst werden muss und dass es Medikamente gibt, die man absetzen und kurzfristig auf eine Insulintherapie umstellen muss. 

esanum: Womit sind Sie bei der diabetologischen Verssorgung insbesondere unzufrieden? 

Prof. Szendrödi: Als Klinikdirektorin bin ich damit unzufrieden, dass wir ständig um die Finanzierung diskutieren müssen. Auch als Universitätsklinikum haben wir einen wirtschaftlichen Druck und müssen uns rechtfertigen, warum wir so viele Stellen besetzen. Bei den DRGs geht es vor allem um den stationären Bereich. Die Leistungen, die wir erbringen, spielen sich aber oft im ambulanten Bereich ab. Aktuell findet eine Querfinanzierung statt. Wir machen die nötigen Dinge, obwohl wir damit ein Verlustgeschäft haben. Das ist eine schwierige Situation. 

esanum: Was wird von Seiten der DDG getan, um die Diabetes-Versorgung weiter  zu verbessern?

Prof. Szendrödi: Im Zuge des neuen Krankenhaustransparenzgesetzes soll klar nach außen sichtbar gemacht werden, welche Einrichtung über welche Expertise verfügt. Unsere Absicht ist, dass sich Patientinnen und Patienten gezielt in einem Krankenhaus vorstellen, wo sie erwarten können, dass eine hohe Expertise vorliegt, sodass sie mit ihrem Diabetes gut behandelt werden. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft erteilt Zertifikate in drei Stufen: Diabetes im Blick, Diabeteszentrum DDG und Diabetes-Exzellenzzentrum. Hier ist abgestuft, welche Expertise vorliegt, wie viele Patienten mit Typ-1-Diabetes und Typ-2-Diabetes pro Quartal dort behandelt werden, wie viele Diabetes-Beraterinnen dort sind, ob es ausgebildete Diabetologen gibt, ob auch Psychologinnen mitarbeiten und ob es einen Interdisziplinären Austausch gibt, der eine leitliniengerechte Behandlung gewährleistet. Das ganze kann man auf der DDG-Homepage abrufen. Es kann allerdings sein, dass manche Krankenhäuser mit einer hohen Expertise sich dieses Zertifikat noch nicht abgeholt haben.

esanum: Die so genannte Abnehmspritze ist derzeit in aller Munde. Es wäre ja zu schön, wenn der "Volksseuche" Adipositas mit einer Spritze beizukommen wäre! Was ist Ihre Meinung?

Prof. Szendrödi: Der Begriff Abnehmspritze ist pointiert und etwas unglücklich. Ich verabreiche GLP-Rezeptorantagonisten bei Diabetes und Adipositas schon lange, gerade bei Patienten mit einem schweren Verlauf. Und ich habe damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Allerdings kann man nicht einfach sagen: Mit der Spritze sind die Probleme eines fettleibigen Menschen plötzlich gelöst. 

Das Medikament ist nicht als einfache Lösung gedacht. Dafür ist auch die Evidenz nicht ausreichend. Gedacht ist es für Menschen mit Diabetes, die ein Problem mit der Blutglukoseeinstellung haben, bei denen man nicht möchte, dass sie insulinpflichtig werden oder auch für jene, denen man eine geringere Insulindosis geben möchte, weil sie mit jeder weiteren Insulingabe weiter zunehmen und damit wieder weitere Komplikationen entstehen. Das Medikament kann helfen, diese Spirale zu beenden, und den Menschen auch die Möglichkeit geben, erstmals wieder Sport zu treiben. Die Spritze könnte auch Menschen mit Adipositas ohne Diabetes  helfen, Komplikationen zu vermeiden - also kardiovaskuläre Ereignisse, Schlaganfall und Herzinfarkt sowie die Amputationsrate zu reduzieren. Lebensstilmodifikation und Bewegungstherapie, um Gewicht zu reduzieren, sind nicht zuletzt deswegen weiter wichtig, weil die Medikamente nur solange wirken, wie man sie einnimmt. Studien belegen allerdings, dass das Medikament Komplikationen über Jahre reduziert. Die Frage ist, wie man das extrapolieren kann auf einen stoffwechselgesunden Menschen. Diese Daten liegen nicht vor. Bislang bleibt es eine Nutzen-Risikoabwägung für Arzt und Patient gemeinsam.

esanum: Es geht ja sicher auch um die Kosten?

Prof. Szendrödi: Bislang gibt es eine Kassenzusage, aber keine Kostenübernahme der Kassen. Allerdings müsste man auch gegenrechnen, was andere Behandlungen wie etwa eine metabolische OP oder auch Folgeerkrankung und Komplikationen kosten würden.

Kurzbiografie Prof. Dr. Julia Szendrödi

Prof. Dr. Julia Szendrödi ist Ärztliche Direktorin der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie, Stoffwechselkrankheiten und Klinische Chemie und Ärztliche Direktorin des Zentrallabors am Universitätsklinikum Heidelberg und Vizepräsidentin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG).