Digitalisierung: Die Geduld ist erschöpft

Beim Thema "Digitalisierung und gematik" scheint die Geduld der KBV erschöpft. Die Politik wird aufgefordert, den Corona-bedingten Reformstau im Gesundheitswesen zügig aufzulösen.

Telematik-Infrastruktur: Desaster wie einst BER oder Stuttgart 21

Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Dr. Andreas Gassen hat die Politik aufgefordert, den Corona-bedingten Reformstau im Gesundheitswesen zügig aufzulösen. Bisherige Projekte – Einführung der eAU und des eRezepts, das Finanzstabilisierungsgesetz für die GKV, die gesetzliche Impfpflicht und ein Triagegesetz – seien im Sande verlaufen, und man wisse nicht, ob die Ankündigung eines gesetzgeberischen Zwischenspurts im Sommer realisiert werde, sagte Gassen bei der KBV-Vertreterversammlung in Bremen.

Noch, so machte Gassen deutlich, genießt Lauterbach einen Vertrauensvorschuss der Vertragsärzte, beispielsweise aufgrund seiner Bereitschaft zum Zuhören. Dies erweise sich an seiner Neuausrichtung der Digitalisierungspolitik, die nicht technikgetrieben, sondern am Ziel der medizinischen Versorgungsverbesserung ausgerichtet sein soll. 

Allerdings: 18 Jahre nach dem Start der Errichtung einer Telematik-Infrastruktur für das Gesundheitswesen durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz von 2003 offenbart sich das Projekt aus der Sicht aller drei KBV-Vorstände als ein Desaster wie einst BER  oder Stuttgart 21. Notwendig, so Gassen, sei eine komplette Neuausrichtung der gematik mit drei prioritären Zielen: Versorgungsverbesserung, Funktionalität und systematische Beteiligung der Betroffenen.

Die Vertreterversammlung verabschiedete zur Digitalisierung und zur Arbeit der gematik eine Resolution mit einem Acht-Punkte-Forderungs-Paket.

Vorkehrungen für die nächste Pandemiewelle im Herbst 

Vor dem Hintergrund möglicher wieder steigender Corona-Infektionszahlen forderte Gassen das Bundesgesundheitsministerium und den Gesetzgeber auf, baldmöglichst Vorkehrungen zu treffen. Die derzeit  für die Praxen geltenden Impfregelungen dürften nicht, wie derzeit vorgesehen, im November auslaufen, sondern sie müssten rechtzeitig bis Ende Mai 2023 verlängert werden. Notwendig sei ferner eine schonungslose Evaluation aller in der Pandemie eingesetzte Eindämmungsinstrumente.

KBV-Vorstand Dr. Stephan Hofmeister ergänzte: Vertragsärzte stehen für eine erneute Impfkampagne bereit, bräuchten aber auch flexible Bestellmöglichkeiten im Wochenrhythmus. Notwendig seien ferner wissenschaftlich belastbare Daten zum Nutzen einer vierten Impfung und deren Priorisierung. Verzichtbar seien hingegen anlasslose Schnelltests, sogenannte Bürgertests, die dreistellige Millionenbeträge kosten. Ein weiteres Petitum: die Einführung eines Dispensierrechts für Ärzte in Notfall- und Bereitschaftsdiensten, um Patienten weite und aufwendige Wege zu Notdienst-Apotheken zu ersparen. 

Effizienzsteigerung durch konsequente Ambulantisierung

Vor dem Hintergrund eines erwarteten neuen Referentenentwurfs für ein GKV-Finanzstabilisierungs-Gesetzes und der Ankündigung Lauterbachs, mit ihm werde es keine Leistungseinschränkungen in der GKV geben, mahnte der KBV-Chef die konsequente Nutzung möglicher Effizienzsteigerungen an, um Inflations- und Kostendruck zu begegnen. Dies sei möglich mit einer konsequenten Ambulantisierung der Medizin, beispielsweise beim ambulanten Operieren. Die Bedingungen aus KBV-Sicht seien: Facharztstandard und gleiche Preise für Praxen und Krankenhäuser. Das Ziel der KBV sei, sich mit dem GKV-Spitzenverband bis zum 1. Juli auf den Operationskatalog zu verständigen und ihn ab 2023 in Kraft zu setzen.

Schnellprogramm für eine neue TI-Strategie

Die KBV-Vertreterversammlung hat ein acht Punkte umfassendes Schnellprogramm für akute Probleme und Kurkorrekturen bei der Telematik-Infrastruktur beschlossen. 

"Digitalisierung mit der Brechstange"

Die gegenwärtig zu beobachtende Praxis der Digitalisierung bedeute konkret:

"Ausfälle der  Infrastruktur, Systemabstürze, zum Beispiel wegen elektrostatischer Aufladungen der eGK, sowie unausgereifte Anwendungen, fehlende Interoperabilität der unterschiedlichen Systeme und Komponenten. Kaum etwas funktioniert reibungslos.... Die Praxen sind frustriert von den bisherigen Erfahrungen."

In einer weiteren Resolution zur gematik heißt es:

"Die gematik versucht, wie seit Jahren praktiziert und trotz gegenteiliger Ankündigungen und unverändert und mit zunehmender Intensität, eine Digitalisierung mit der Brechstange voranzutreiben."

Praxisabläufe würden dadurch gefährdet. Die gematik werde dabei auch nicht durch ihren Mehrheitsgesellschafter, das Bundesgesundheitsministerium, gebremst. Das zerstöre das Vertrauen in die Digitalisierung.