Medizin-Nobelpreis: Diphtherie-Serumtherapie bis Hepatitis-C-Entdeckung

Der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin wird seit 1901 jährlich vergeben und ist seit 2020 mit zehn Millionen schwedischen Kronen dotiert – eine Million Kronen mehr als im Vorjahr.

Medizin-Nobelpreis: am häufigsten aufgeteilter Nobelpreis

Fortsetzung zu "Die Geschichte des Nobelpreises"

Seit der ersten Nobelpreis-Verleihung wurden (Stand 2019) insgesamt 219 Personen ausgezeichnet, darunter befanden sich 207 Männer (94,5%) und zwölf Frauen (5,5%). Bisher wurde niemand mehrmals mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet. Bislang wurde der Preis 39-mal ungeteilt an eine einzige Person vergeben. 33-mal wurde er zwischen zwei, 38-mal zwischen drei Personen aufgeteilt. Mit einer Quote von 1,98 Preisträgern pro Verleihung ist es der am stärksten aufgeteilte Nobelpreis. 9-mal wurde der Preis nicht verliehen, zuletzt 1942.

Der 1. Medizin-Nobelpreis: Emil von Behring

Emil Adolf Behring (1854-1917) erhielt den ersten Nobelpreis für Medizin "für seine Arbeiten über Serumtherapie und besonders für deren Anwendung gegen Diphtherie, mit denen er der medizinischen Wissenschaft neue Wege erschloss und dem Arzt eine erfolgreiche Waffe im Kampf gegen Krankheit und Tod gegeben hat."

Die Diphtherie wird durch eine Infektion der oberen Atemwege mit Corynebacterium diphtheriae verursacht. Das Bakterium wurde 1884 von dem Arzt und Bakteriologen Friedrich Löffler (1852-1915) im Kaiserlichen Gesundheitsamt in Berlin entdeckt.

In Preußen starben von 1875 bis 1887 im Jahresdurchschnitt etwa 45.000 Menschen an der ansteckenden und häufig tödlich verlaufenden Erkrankung, davon waren zu 98% Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren betroffen. Gegen die Krankheit, die nach den im Hals befindlichen lederartigen Ablagerungen aus abgestorbener Schleimhaut und Blut auch "häutige Bräune" oder Halsbräune genannt wurde, gab es  kein medizinisch wirksames Heilmittel. Die betroffenen Kinder wurden durch Luftröhrenschnitt (Tracheotomie) kurzzeitig vor dem Ersticken bewahrt. Eine Überlebensgarantie war mit dem chirurgischen Eingriff jedoch nicht verbunden.

Kindersterblichkeit an Diphtherie dank Behring um Hälfte reduziert

1888 gelang den Franzosen Émilie Roux (1853-1933) und Alexandre Yersin (1863-1943) der Toxin-Nachweis. Und doch es war Behring, der in diesen Jahren gemeinsam mit dem Japaner Shibasaburo Kitasato (1853–1935) und mit Unterstützung seines Freundes und Kollegen Erich Wernicke (1859-1928) im Berliner Labor Robert Kochs (1843–1901) ein Heilmittel gegen die Diphtherie entwickelte, mit dem erkrankte Kinder geimpft und geheilt werden konnten. Das von Behring, Kitasato und Wernicke entwickelte Verfahren ist die passive Immunisierung. 

Dabei werden Abwehrstoffe (aus dem Serum der mit dem Bakterium immunisierten Tiere) gewonnen und in den erkrankten Körper gespritzt. Eine Milderung des Krankheitsverlaufs tritt rasch ein, weil die Abwehrstoffe oder Antitoxine (heute wissen wir: Antikörper) sofort zur Verfügung stehen und nicht erst vom Körper gebildet werden müssen.

Die Kindersterblichkeit an Diphtherie konnte dank Behrings Therapie um die Hälfte reduziert werden. Behring wurde der Ehrentitel Retter der Kinder verliehen. Für das im Tierversuch entwickelte Verfahren der Serumtherapie erhielt er, wie bereits erwähnt, 1901 den erstmals vergebenen Nobelpreis für Medizin. Im gleichen Jahr wurde er vom deutschen Kaiser geadelt: Emil von Behring. 

Alter, Rice, Houghton: Medizin-Nobelpreis für Entdeckung des Hepatitis-C-Virus

Der Nobelpreis des Jahres 2020 in Physiologie oder Medizin ging an die US-Amerikaner Harvey J. Alter und Charles M. Rice sowie den Briten Michael Houghton. Die drei Virologen werden für die Entdeckung des Hepatitis-C-Virus ausgezeichnet.

"Sie haben einen entscheidenden Beitrag zur Bekämpfung der durch Blut übertragenen Hepatitis geleistet", ist die Begründung des Komitees für die Preisträger. Sie haben vermutlich "Millionen Leben gerettet", sagte Gunilla Karlsson Hedestam vom Karolinska Institutet. Der 1935 in New York geborene Harvey J. Alter begann an den National Institutes of Health (NIH) die Krankheit zu erforschen, die vorwiegend nach Bluttransfusionen auftrat. An der dortigen Abteilung für Transfusionsmedizin fand er, dass viele der Infektionen nicht von den bisher bekannten Hepatitis A- und B-Viren verursacht wurden. Alter belegte in den späten 1970er-Jahren überdies die Übertragung der Erreger durch die Verabreichung von Blut auf Schimpansen. Seine Forschungserkenntnisse führten zu der Bezeichnung "Non-A/Non-B"-Hepatitis.

Michael Houghton, der am King‘s College in London promoviert wurde, suchte Ende der 1980er-Jahre unter dem Einsatz von damals neuen molekulargenetischen und immunologischen Methoden nach genetischen Spuren des noch nicht identifizierten Virus in Proben von Schimpansen und Menschen. Houghton fand die RNA eines neuen Virus aus der Flaviviren-Gruppe, das "Hepatitis C" genannt wurde. Seit 2010 ist Houghton an der Universität Alberta/Kanada als Virologe tätig.

Dass ein Klon des gefundenen Virus ebenso die so häufig beobachtete Erkrankung auslöste und wie sich der Erreger vermehrt, erkannte der dritte Preisträger, Charles M. Rice. Der in Sacramento/Kalifornien Geborene hatte an der Washington University School of Medicine in St. Louis eine Forschergruppe und habilitierte dort 1995. Von 2001 an war er an der Rockefeller Universität in New York tätig, bis 2018 als Leiter des Zentrums für Hepatitis-C-Forschung.

"Fundament" im Kampf gegen Hepatitis C

Die Entdeckungen führten einerseits zur Eindämmung von Infektionen über Blutprodukte, andererseits auch zur raschen Entwicklung von Medikamenten gegen das Hepatitis-C-Virus, so das Nobelpreis-Komitee. Alter, Rice und Houghton "das Fundament geliefert, um den Kampf gegen das Virus zu beginnen". 

Beim Hepatitis-C-Virus handelt es sich übrigens um das erste Virus, dessen Genomsequenz und Virusproteine einem umfassenden Patentschutz unterliegen – allerdings ein Hindernis für die Entwicklung von neuen Therapien.

Medizin-Nobelpreis 2021: Entdeckung von Rezeptoren für Temperatur und Druck

Der Nobelpreis für Physiologie/Medizin 2021 ging an David Julius und Ardem Patapoutian für die Entdeckung von Rezeptoren für Temperatur und Druck. Diese Empfindungen sind zwar das alltäglichste und dennoch überlebenswichtig. Auf die Spur kam David Julius seiner Entdeckung mit Chili. Hitze, Kälte und Berührungen zu spüren, ist für uns das alltäglichste der Welt und doch eine Fähigkeit, die überlebenswichtig ist. Wie genau die Wahrnehmung funktioniert, war lange nicht bekannt. Die beiden Nobelpreis-Gewinner haben die verantwortlichen Rezeptoren und ihre Funktion entschlüsselt.

David Julius fand mit Hilfe von Capsaicin die Rezeptoren, die in den Nervenenden der Haut Hitze wahrnehmen. Capsaicin ist der Stoff, der die Schärfe der Chili ausmacht. Ardem Patapoutian entdeckte durch die Untersuchung drucksensitiver Zellen die Rezeptoren, die mechanische Reize in der Haut und in den inneren Organen erspüren. Beide Forschungen waren die Grundlage für viele Entdeckungen, die zum Verständnis beigetragen haben, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen und mit ihr interagieren.

Wann wird der Medizin-Nobelpreis 2022 bekannt gegeben?

Am 10. Dezember 2022 - dem Todestag von Alfred Nobel – findet in Stockholm die nächste Verleihung des Medizin-Nobelpreises statt.

Mehr zu biologisch-medizinischen Fragestellungen und Rätseln lesen Sie in der Kolumne von Prof. Reinhard Renneberg.

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