Präzisere Herzinfarkt-Diagnostik in der Notaufnahme durch KI

Ein Forschungsteam hat durch die Kombination von künstlicher Intelligenz und RNA-Molekülen eine Methode entwickelt, mit der die instabile Angina pectoris zukünftig früher und sicherer erkannt werden könnte.

Kombination von künstlicher Intelligenz und RNA-Molekülen

Forschende des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) haben durch die Kombination von künstlicher Intelligenz und RNA-Molekülen eine Methode entwickelt, mit der eine Vorstufe des Herzinfarkts, die instabile Angina pectoris, zukünftig früher und sicherer erkannt werden könnte.

Die Entdeckung des Troponins als Biomarker hat die Herzinfarkt-Diagnose revolutioniert und rettet jährlich hunderttausende Leben. Dennoch gibt es Bereiche, in denen dieser Test an seine Grenzen kommt. Dazu gehört die instabile Angina pectoris, bei der die PatientInnen Herzinfarkt-typische Beschwerden haben, die Troponin-Werte aber nicht ansteigen und auch das EKG oft unauffällig ist. Für das medizinische Personal ist es schwer zu entscheiden, wie Betroffene am besten weiter behandelt werden soll. Denn ähnliche Schmerzen können bei einer Vielzahl von Erkrankungen auftreten, zum Beispiel bei orthopädischen Problemen.

Prof. Benjamin Meder und seine Mitarbeiterin Dr. Elham Kayvanpour vom Universitätsklinikum Heidelberg haben durch die Verknüpfung von künstlicher Intelligenz, also neuronalen Netzwerken, undnmicroRNAs einen neuen Ansatz für eine frühe und sichere Diganose der instabilen Angina pectoris bei PatientInnen mit Brustschmerzen gefunden.

So robust wie unser Gehirn

Meder veranschaulicht mit einem Vergleich, wie neuronale Netze funktionieren: Ähnlich wie die zigtausenden Nervenzellen in unserem Gehirn sind bei dieser künstlichen Intelligenz mathematische Funktionen in mehreren Schichten miteinander verschaltet. Sehen wir beispielsweise einen Hamburger, erfasst das Gehirn dieses Muster und uns läuft als Reaktion das Wasser im Mund zusammen. Dabei erkennen wir das Fastfood-Brötchen, egal wie viele Fleischklopse, Salatblätter oder Tomatenscheiben aufeinandergestapelt sind.

Die neuronalen Netze des Heidelberger Forschungsteams berechnen mit Daten über eine bestimmte Gruppe von microRNAs, ob eine instabile Angina pectoris vorliegt oder nicht. Dabei funktionieren sie ebenso robust wie unser Gehirn, selbst bei Abweichungen kommen sie zum richtigen Ergebnis. "Es ist schon fast erschreckend wie leistungsfähig neuronale Netze sind", sagt Meder.

34 Moleküle liefern entscheidende Informationen

Erstautorin Kayvanpour hat zunächst ermittelt, welche microRNAs bei PatientInnen mit Verdacht auf einen Herzinfarkt generell aktiv sind und so eine Art Schnappschuss der zellulären Vorgänge erstellt. Über 2.000 microRNAs hat sie dann weiter analysiert und bereits aus der Literatur bekannte Kandidaten bestätigt. Es kristallisierten sich 34 microRNAs heraus, anhand deren Vorkommen und Konzentration die neuronalen Netze eine instabile Angina pectoris sicher diagnostizieren können. Die Arbeit von Kayvanpour ist eine der ersten Studien, die künstliche Intelligenz nutzt, um die Profile von RNA-Molekülen auszuwerten und miteinander zu verknüpfen.

Informationsflut erwünscht

Neuronale Netzwerke sind auch deshalb ein vielversprechender Ansatz für die Klinik, weil sie innerhalb kürzester Zeit unzählige Informationen verarbeiten können, vielmehr als ein Mensch leisten kann, vor allem in einer Notsituation. Zukünftig könnte diese künstliche Intelligenz daher genutzt werden, um Daten aus mehreren Quellen wie Bildgebung, Biomarkern und EKG zusammen auszuwerten und damit noch präzisere Diagnosen ermöglichen.

"Noch können wir mit unserem Ansatz in der Klinik keinen Blumentopf gewinnen", sagt Meder. Denn obwohl die neuronalen Netze die eingegebenen Informationen innerhalb von Sekunden bewerten, dauert es zwei bis drei Tage, bis das microRNA-Profil von PatientInnen erstellt ist. Meders Team entwickelt deshalb Verfahren, mit denen microRNAs sehr schnell gemessen werden können. Außerdem müssen die Ergebnisse noch mit Daten von größeren Patientengruppen sowie von anderen Kliniken bestätigt werden, bevor die Methode in die medizinische Praxis gelangen kann.

Quelle:
microRNA neural networks improve diagnosis of acute coronary syndrome (ACS). Kayvanpour E, Gi WT, Sedaghat-Hamedani F, Lehmann DH, Frese KS, Haas J, Tappu R, Samani OS, Nietsch R, Kahraman M, Fehlmann T, Müller-Hennessen M, Weis T, Giannitsis E, Niederdränk T, Keller A, Katus HA, Meder B. J Mol Cell Cardiol. 2020 Apr 17:S0022-2828(20)30097-3. https://www.jmmc-online.com/article/S0022-2828(20)30097-3/pdf