Noch bis Anfang der 2000er Jahre mussten sich Rheumatologen bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis (RA) größtenteils mit der Symptomlinderung begnügen – von der realistischen Option einer vollständigen Remission konnte noch keine Rede sein. Erst die wissenschaftlichen Fortschritte der letzten beiden Dekaden machten dieses Ziel greifbar und geben immer mehr Patienten die Chance, ein weitgehend normales Leben, jenseits von körperlichen Behinderungen, zu führen.
Ein Kernpunkt dieser Entwicklung ist die mittlerweile etablierte Erkenntnis, dass ein frühes und intensives Eingreifen der beste Schutz gegen langfristige Gewebsschäden sei. Zudem müsse eine klare Intention definiert werden und diese mithilfe eines regelmäßigen Monitorings und einer kontinuierlichen Therapie-Anpassung nachdrücklich verfolgt werden. Als anzustrebendes Ziel gilt heute die möglichst baldige Remission oder alternativ zumindest die deutliche Reduktion der Krankheitsaktivität, sowohl für neudiagnostizierte als auch für bereits länger Erkrankte.
Dieses "treat to target"- Konzept soll den Betroffenen eine möglichst gute Lebensqualität, maximale Symptomkontrolle sowie einen nachhaltigen Gelenkschutz sichern.
Der Ansatz, zunächst das wünschenswerte Ergebnis festzulegen und anschließend den bestmöglichen Weg dorthin auszutarieren, hat bei einigen kardiovaskulären oder endokrinologischen Krankheitsbildern bereits eine längere Tradition, wie beispielsweise definierte Blutdruck- bzw. Blutzucker-Grenzwerte beim Hypertonus oder Diabetes.1
Für die RA wurden entsprechend zielorientierte Grundsätze von einem internationalen Fachgremium erstmals im Jahre 2010 zusammengetragen und verschriftlicht.2
2014 wurden diese "treat to target"-Richtlinien – abgekürzt auch T2T – von einem großen, globalen Expertenteam noch mal grundlegend überarbeitet. Vor allem sollten in dem Update sämtliche Aussagen nicht nur auf langjähriger Erfahrung oder Spezialistenmeinung fußen, sondern explizit auch durchgehend studien- und evidenzbasiert sein. Zudem sollte der künftige Fokus mehr patientenorientiert sein und die Betroffenen im Idealfall auch aktiv in die zielführende Behandlung und Entscheidungsfindung involvieren.3
Die Kommission entwickelte und evaluierte letztendlich vier übergeordneten Prinzipien sowie 10 Handlungsempfehlungen, die den Rheumtologen bei seiner Arbeit unterstützen sollen. Die vier Grundprinzipien beinhalten dabei zusammengefasst die Zielsetzung, in enger Zusammenarbeit mit dem Rheumatiker, eine angemessene Krankheitskontrolle bzw. Schadensabwendung durch Hemmung der Entzündungsaktivität zu erreichen. Die 10 Empfehlungen konkretisieren das Vorhaben, in dem sie z.B. Mindest-Intervalle für bildgebende Untersuchungen, Labor-Checks oder eventuell notwendige Therapieanpassungen nennen oder Tipps zur Wahl der Messinstrumente geben.3
In Übereinstimmung mit dem "treat to target"-Konzept hat das American College of Rheumatology (ACR) Ende 2015 eine neue Leitlinie hervorgebracht, welche dem Arzt spezifische und detaillierte Algorithmen an die Hand gibt. Separat für Früharthritis und die etablierte RA und aufgegliedert nach niedriger bzw. mäßig bis hoher Krankheitsaktivität können die jeweils empfohlenen nächsten Behandlungsschritte nachvollzogen werden.4
Begonnen wird dort in der Regel mit der Monotherapie eines krankheitsmodifizierenden Medikaments wie Methotrexat, wobei bei Fortbestehen oder Progression umgehend auf Biologika vom Typ Tumornekrosefaktorhemmer (TNFi) wie Infliximab, Golimumab etc., Nicht-TNFi wie Rituximab oder eine Kombination der DMARDs (disease-modifying antirheumatic drugs) umgesattelt wird. Bei etablierter RA kann alternativ auch das orale synthetische Tofacitinib eingesetzt werden – bei beiden Krankheitsformen ergänzend und kurzzeitig auch ein niedrigdosiertes Glukokortikoid.
Zentrale Forderungen der Leitlinie sind neben der zielgenauen Therapie aller RA-Patienten, die Fortführung der Therapie bei niedriger Krankheitsaktivität sowie das nicht vollständige Absetzen der Medikamente im Falle einer Remission bei etablierter rheumatoider Arthritis. Auch auf Strategien bei verschiedenen Komorbiditäten gehen die Verfasser der Leitlinie dezidiert ein, was ebenfalls einem wichtigen Eckpfeiler des derzeitigen T2T-Prinzips entspricht.4
Auch die EULAR (European League Against Rheumatism) unterstreicht im Update ihrer Empfehlungen explizit die stringente Aktivitätskontrolle und ergänzt ihre Ausführungen 2016 vor allem um weitere Therapieoptionen und eine stärkere wissenschaftliche Evidenz.5
Die Arbeitsgruppe ist überzeugt, dass T2T-Prinzipien wie gemeinsame Entscheidungsfindung und Zielsetzung, frühe Anwendung der empfohlenen Therapieregime sowie kontinuierliches Screening mit geeigneten Instrumenten das Behandlungsergebnis bei der überwiegenden Mehrzahl der RA-PAtienten maximieren kann.5 Zu einem vergleichbaren Ergebnis kam auch eine bedeutende Studie, welche den bisherigen Therapiestandard mit dem strategischen "treat to target" verglich und die im "Annals of the rheumatic diseases" publiziert wurde.6
Trotz dieses Wissens und der Experten-Appelle sieht die Realität vieler Rheumatiker in Deutschland leider oft noch anders aus.7 Statt das kurze Zeitfenster in der Frühphase der Erkrankung konsequent zu nutzen, erfolgt eine Überweisung zum Rheumatologen hierzulande durchschnittlich erst nach knapp einem Jahr.9 Dabei kann schon eine geringe Therapie-Verzögerung deutliche Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf haben. Auch können die Versäumnisse später in der Regel nicht mehr aufgeholt werden.8 In Remission befinden sich deutsche RA-Patienten ebenfalls signifikant seltener als viele europäische Nachbarn, wie diverse Erhebungen der letzten Jahre aufzeigen.9, 10
Und dabei scheint es tatsächlich die rasche Reduktion der Krankheitsaktivität zu sein, welche für den Outcome sowie viele zusätzliche Lebensjahre entscheidend ist.7,11
Grund genug also, hier etwaige Hürden und Hemmnisse zu identifizieren und zu überwinden – und künftig mit aller Kraft das therapeutische Ziel anzustreben.
Quellen: