Urogenitaltuberkulose zu wenig bekannt

Europaweit besitzen lediglich 20 % der Urologinnen und Urologen ausreichende Kenntnisse, um eine Urogenitaltuberkulose sicher zu diagnostizieren und zu behandeln.

Das sollten Sie zur Urogenitaltuberkulose wissen

Tuberkulose ist auch in Europa verbreitet

Die Tuberkulose (TB) ist in Deutschland eine meldepflichtige Infektionskrankheit, stellt jedoch mit rund 4.000 bis 5.000 Fällen jährlich eher eine seltene Erkrankung dar. Doch weltweit – und auch in der WHO-Region Europa  spielt diese Infektionskrankheit weiterhin eine große Rolle. So zählt die Tuberkulose beispielsweise noch immer zu den 10 häufigsten Todesursachen der Welt.

Allein im Jahr 2019 gab es schätzungsweise mehr als 1,4 Millionen TB-Tote und circa 10 Millionen Neuinfektionen auf der Welt. Rund 6 % dieser Fälle betreffen die Region Europa, wobei gerade die Zahlen für die therapieresistente TB weiter ansteigen.

Fast jeder zweite Patient mit extrapulmonaler Tuberkulose

Mycobacterium tuberculosis, der Erreger der Tuberkulose, befällt vornehmlich die Lunge, obgleich das Bakterium prinzipiell jedes Organ des Körpers infizieren kann. Statistiken zufolge leiden 45 % der Patienten auch unter einer extrapulmonalen TB. Das Urogenitalsystem mit Nieren und Harnblase ist dabei der Hauptort dieser Organ-Infektionen.

Die Symptome einer Urogenitaltuberkulose sind meist unspezifisch, sodass es zu Verwechslungen mit anderen urogenitalen Erkrankungen kommen kann, wie z.B. Miktionsstörungen. Dadurch wird jedoch nicht selten die Diagnose der TB verzögert und eine mögliche Organschädigung verstärkt.

Gibt es darüber hinaus überhaupt bestimmte Patienten-Charakteristika, bei denen differentialdiagnostisch an eine Urogenitaltuberkulose gedacht werden sollte? Dazu gibt es wenige epidemiologische Daten: Demnach ist der Patient mit Urogenitaltuberkulose häufig männlich, um die 40 Jahre alt und stammt in mehr als 90 % der Fälle aus einem Entwicklungs- oder Schwellenland. Nicht selten tritt eine TB-Infektion gemeinsam mit einer HIV-Infektion auf, wobei Männer von dieser Ko-Infektion etwa zweimal häufiger betroffen sind als Frauen.

Wie wird die Urogenitaltuberkulose diagnostiziert?

Bei der Urogenitaltuberkulose handelt es sich fast immer um eine sekundäre TB bestimmter urogenitaler Organe, wie der Nieren, der Harnblase, der Prostata oder – vor allen bei sexuell aktiven Männern der Epididymides. Primär leiden oder litten die Betroffenen an einer pulmonalen Tuberkulose.

Selbst nach Jahren in einem inaktiven Stadium kann eine pulmonale TB noch Ausgangspunkt für eine hämatogene Streuung des Erregers in andere Organe sein. Diabetes mellitus Typ 2, höheres Lebensalter, niedriger BMI, Tumorerkrankungen, Immunschwäche und Nierenversagen steigern das Risiko für eine Reaktivierung der Mykobakterien.

Im klinischen Bild zeigen sich oft zystenartige oder kalkig-käsige Läsionen sowie Vernarbungen in den infizierten Organen. In den Nieren kann die Tuberkulose zudem Schäden bis hin zum Untergang des Parenchyms verursachen. In der Harnblase treten anfangs ebenfalls akute Entzündungssmptome auf, die in der Folge zur Fibrosierung der Blasenwand führen können. Am häufigsten beschreiben Patienten mit Urogenitaltuberkulose Schmerzen beim Wasserlassen, Hämaturie sowie Miktionsstörungen. Eine für eine pulmonale TB positive Anamnese spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle für die Differentialdiagnose.

In der Diagnostik ist nach wie vor der Erregernachweis mittels Urinkultur von großer Bedeutung. Ausstrichpräparate sind hingegen die schnellste Testform in der Praxis, die aber auch die geringste Sensititvität mitbringt. Moderne Verfahren der Molekularbiologie, wie die NAAT oder die Genomsequenzierung, erlauben genauere Diagnosen und können zugleich auch die Sensitivität oder Resistenz der gefundenen Mykobakterien auf bestimmte Therapeutika untersuchen.

Bildgebende Verfahren, wie der Ultraschall oder das CT, runden die Diagnosemöglichkeiten ab und liefern dabei einen Eindruck sowohl vom Stadium der Erkrankung als auch von den möglichen Schäden innerhalb eines infizierten Organs.

Therapie der Urogenitaltuberkulose

Bei der Behandlung einer Urogenital-TB werden medikamentöse von chirurgischen Verfahren unterschieden. Die WHO empfiehlt im Falle einer unkomplizierten TB derzeit ein 6-monatiges Behandlungsregime mit einer 2-monatigen Intensivphase bestehend aus vier Antibiotika/Tuberkulostatika, gefolgt von einer 4-monatigen medikamentösen Therapie mit einem Antibiotikum. Diese lange Therapiedauer führt häufig zu einer nur mäßigen Compliance der Patienten, sodass es immer wieder zu Therapieabbrüchen kommt. Dies verhindert die Heilung, fördert Rezidive und steigert zudem das Risiko für eine Ausbreitung der multiresistenten TB.

Bei komplizierteren Fällen der Organtuberkulose wird die chirurgische Therapie empfohlen. Dabei werden die käsigen bis nekrotisierenden Infektionsherde innerhalb der Organe ausgeräumt. Das betrifft bis zu 50 % der Patienten mit Urogenitaltuberkulose. Zur Anwendung kommen sowohl ablative und rekonstruierende als auch endoskopische Verfahren. Standard-Operationspläne gibt es jedoch aktuell nicht.

Die langjährige Nachbeobachtung von Patienten mit Organtuberkulose ist darüber hinaus von essenzieller Bedeutung für die Rezidivkontrolle. Während die pulmonale TB in etwa 2 % bis 6 % der Fälle rezidiviert, so sind es bei der Urogenitaltuberkulose mit circa 6 % bis 22 % deutlich mehr Fälle. Die durchschnittliche Zeit bis zum Rezidiv beträgt etwa 5 Jahre, weshalb eine Nachbeobachtungszeit von mindestens 10 Jahren empfohlen wird.

Fazit für die Praxis

Die Fluchtbewegungen innerhalb und nach Europa sowie die Möglichkeiten des internationalen Reiseverkehrs können auch bei uns zu einem allmählichen Anstieg urologischer, infektiöser Erkrankungen, wie z.B. der Urogenitaltuberkulose, führen.

In einigen europäischen Ländern, wie z. B. in Deutschland, kommt die TB nur selten vor, weshalb das Wissen zur Diagnose und Therapie der Organtuberkulosen hierzulande begrenzt ist. Die geringen Kenntnisse über TB bei den europäischen und deutschen Urologinnen und Urologen sollte daher dringend durch medizinische Fortbildungskurse, Online-Seminare oder telematische Hilfsmittel verbessert werden.

Originalarbeit: Mantica G et al., Antibiotics 2021; 10: 1399. https://doi.org/10.3390/antibiotics10111399

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