Neue Ansätze in der Rheuma-Therapie: Status Quo

Neue Therapieoptionen in der Rheumatologie bringen Hoffnung: Wie kann der Blick auf Neuroimmunologie, Immundefekte und Systemimmunologie bei der Behandlung entzündlich rheumatischer Erkrankungen helfen?

Vagusnerv könnte entscheidende Rolle in Rheumabehandlung spielen

Lange Zeit galten Immunsystem und Nervensystem als voneinander unabhängige Akteure im menschlichen Körper. Doch betont Professor Dr. med. Christoph Baerwald, Kongresspräsident der DGRh und em. Leiter der Abteilung Rheumatologie am Universitätsklinikum Leipzig, auf dem DGRh Kongress die Verflechtungen von Nervensystem und Immunsystem. Beide Systeme sind miteinander verwoben und haben Effekte aufeinander. Bei chronisch entzündlichen Erkrankungen beispielsweise kann der instabile Zustand des Nervensystems negative Auswirkungen auf das Immunsystem haben. 

Die Reizung des Nervus Vagus und welche Auswirkungen diese auf Rheuma hat, ist ein brandaktuelles Thema in der Rheumatologie. Diese Methode ist bereits zur Behandlung von schwerer Epilepsie und Depressionen zugelassen. Nun haben erste Studien einen positiven Effekt auf rheumatisch entzündliche Erkrankungen gezeigt, insbesondere bei schwer erkrankten Patientinnen und Patienten. Denn Immunzellen verfügen auf ihrer Oberfläche über Rezeptoren, die sie für die Signale neuronaler Botenstoffe empfänglich machen. Durch die Nervenstimulation konnte die Krankheitslast heruntergefahren werden und im Nachgang die Medikamentenmenge reduziert werden. Das Thema ist jedoch hochkomplex, weswegen es noch größerer, placebokontrollierter Studien bedarf, bis diese Behandlungsoption der breiten Masse verfügbar sein wird, so Baerwald. Große Hoffnung sei dennoch vorhanden.1,2

Juvenile idiopathische Arthritis: auch an Immundefekte denken

Nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei Kindern und Jugendlichen können Zellen des Immunsystems fälschlicherweise körpereigenes Gewebe wie Gelenke, Knochen, Bindegewebe oder innere Organe angreifen. In Deutschland sind rund 20.000 Kinder von Rheuma betroffen. Bei der Diagnose einer entzündlich rheumatischen Erkrankung im jungen Alter sollten Behandelnde das mögliche Vorliegen eines Immundefektes abklären, so Dr. med. Maria Fasshauer, Kongresspräsidentin der GKJR und Oberärztin am Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie am Klinikum St. Georg, Leipzig. Denn Immundefekte können mitunter Ursache für eine rheumatische Erkrankung sein. 

"Unter Immundefizienz wird eine Gruppe von verschiedenen angeborenen, seltenen Krankheitsbildern verstanden, die meist aufgrund von Mutationen einzelner Gene entstehen. Diese Krankheitsbilder werden in der Fachwelt unter dem Namen "inborn errors of immunity (IEI)" zusammengefasst", so Fasshauer. Solche immunologischen Störungen bei Kindern zeichnen sich zumeist durch eine übermäßig hohe Infektionsanfälligkeit aus. Viele IEI gehen allerdings auch mit Immundysregulation wie Autoimmunität oder Autoinflammation (durch das Immunsystem scheinbar grundlos ausgelöste Entzündungen) einher. 

Durch moderne genetische Sequenzierungsmethoden wurde in den letzten Jahren eine steigende Zahl an IEI identifiziert, die sich auch in Form rheumatischer Erkrankungen manifestieren können. Fasshauer hält fest: 

"Trotz ihrer Seltenheit ermöglicht das Verständnis dieser angeborenen Störungen im Immunsystem Einblicke in die Mechanismen der Immunregulation, die auch bezüglich der Entstehung von Rheuma von Relevanz sind."

Sollten bei Untersuchungen in Bezug auf Rheuma Immundefekte erkennbar sein, lautet auch hier das Stichwort: personalisierte Medizin. Maßgeschneiderte Immunmodulation, beispielsweise durch Biologika, kann gezielt in die fehlerhaften Mechanismen dieser Krankheitsbilder eingreifen.3,4 

Entzündliche Gelenkerkrankungen: Wann ist es Zeit für eine Operation?

Auch in der orthopädischen Rheumatologie hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Waren in der Vergangenheit noch zahlreiche Operationen an der Tagesordnung, beispielsweise aufgrund von schwerwiegenden Fehlstellungen, hat sich diese Anzahl durch die Einführung der Biologikatherapie, die zu einer Reduktion der Krankheitsaktivität von entzündlichen Synovialerkrankungen beiträgt, deutlich reduziert.

Allerdings kann auch niedrige Krankheitsaktivität zu einer Schädigung des Gelenks führen. Betroffene mit häufig schmerzlosen Gelenkschwellungen besuchen den Rheumatologen meist zu spät: Dann, wenn bereits Gelenk- oder Sehnendestruktionen vorliegen. Auch Schleimhautenzündungen des Fußes oder der Hüfte bleiben häufig lange unerkannt. Daher, so Prof. Dr. med. Sebastian Seitz (Kongresspräsident der DGORh und Chefarzt der Orthopädie am Klinikum Hochsauerland, Arnsberg), ist eine routinemäßige jährliche Orthopädisch-Rheumatologische Jahreskontrolluntersuchung ratsam. Alleine eine gezielte Befragung und klinische Ganzkörperuntersuchungen mit Funktions- sowie Stabilitätstestungen können Störungen frühzeitig detektieren. So kann ein gezielt durchgeführter gelenkerhaltender Eingriff weitere Schädigungen vermeiden.5,6 Im exklusiven esanum-Interview berichtet Prof. Seitz ausführlicher über operative Eingriffe bei rheumatisch-entzündlichen Erkrankungen.

Weitere Highlights vom DGRh finden Sie in unserer Kongressberichterstattung.

Quelle:

  1. Kongress-Pressekonferenz anlässlich des Deutschen Rheumatologiekongresses 2023, 31.08.2023 
  2. O. Seifert; C. Baerwald: Stimulation des Nervus vagus als therapeutisches Prinzip. Zeitschrift für Rheumatologie volume 82, pages 462–471 (2023)
  3. Bousfiha A. et al. The 2022 Update of IUIS Phenotypical Classification for Human Inborn Errors of Immunity. J Clin Immunol. 2022; 42(7):1508-1520. doi: 10.1007/s10875-022-01352-z.
  4. Farmand S. et al. AWMF Leitlinie: Diagnostik von primären Immundefekten;http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/112-001.html
  5. Carl HD, Rech J (2011): Synovektomie der großen Gelenke in der Ära der Biologika. Z Rheumatol 70(1):9-13
  6. Gaulke R: Orthopädisch-Rheumatologische Jahresuntersuchung (ORJ). Z Orthop Unfall 2018; 156(5)