Internisten als Hausärzte: eine gute Idee

Mit der Alterung der Gesellschaft nimmt die Hausarztmedizin einen großen Stellenwert ein. Wie können medizinische Herausforderungen des demographischen Wandels gemeistert werden?

Hausärzte: erste Ansprechpartner bei medizinischen Problemen

“In 25 Jahren wird ein Drittel der Bevölkerung über 65 Jahre alt sein”, betont Dr. med. Irmgard Landgraf, Hausärztin in Berlin, auf dem 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Hand in Hand mit dieser Bevölkerungsalterung und aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen gehen eine Vielzahl weitreichender Konsequenzen – von einer deutlichen Zunahme altersbedingter Erkrankungen über gesundheitspolitische Herausforderungen und Ressourcenfragen hinzu zunehmender Digitalisierung und Ambulantisierung. Wichtigste bevorstehende Herausforderungen laut Landgraf: Förderung von Prävention, Vermittlung von Gesundheitskompetenz innerhalb der Bevölkerung und eine Stärkung der ambulanten Medizin. Ein Fall für niedergelassene Medizinerinnen und Mediziner: “Hausärzte haben viele Kompetenzen, weil diese im Versorgungsalltag gebraucht werden”, so Landgraf.

Für die Behandlung zunehmend älterer Patienten sei ein Verständnis einer Vielzahl medizinischer Disziplinen wichtig, von Infektionen und Erkrankungen der Organsysteme über muskuloskelettale und chirurgische Erkrankungen hin zu neurologischen und psychiatrischen Krankheitsbildern, ebenso wie Palliativmedizin. Niedergelassene Internistinnen und Internisten hätten durch ein breitgefächertes Verständnis verschiedener medizinischer Fachgebiete einen Überblick, wie unterschiedlichste Patienten zu versorgen seien. “Wir können das im Gegensatz zu anderen fachärztlichen Disziplinen machen, weil wir unsere Patienten kennen”, betont Dr. Landgraf. Man kenne deren Krankheitsgeschichten und Lebensläufe, weil viele Patienten über Jahre hinweg betreut werden. “Die Patienten werden mit uns alt.”

In diesen Aspekten sieht Dr. Landgraf auch den besonderen Reiz der Hausarztmedizin:

Hausärzte als Vermittler von Gesundheitskompetenz

Mit einer steigenden Zahl älterer Patienten ergebe sich nun auch die Verarbeitung von mehr Daten, ein zunehmender Controlling-Bedarf sowie eine Optimierung der Patientenführung. Die Hausarztmedizin werde somit zunehmend komplexer. Wie kann das alles bewerkstelligt werden? Dr. Landgraf ist überzeugt: Das funktioniert nur durch eine digitale Unterstützung der hausärztlichen Kooperation und Koordination. Durch Praxisverwaltungssysteme könnte Prozessoptimierungen vorgenommen werden. So können beispielsweise Karteikarten strukturiert, die Verschreibung von Medikation durch integrierten Interaktions-Check unterstützt oder Impfmodule integriert sowie über Schnittstellen angebunden werden. Weitere Anwendungsbereiche und Vorteile:

Eine weitere Stellschraube, an der laut Landgraf primär von hausärztlicher Seite gedreht werden muss: die Vermittlung von Gesundheitskompetenz. Laut aktuellen Erkenntnissen verfügen 54 % der Deutschen über eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz. Viele Patienten fühlten sich durch die Komplexität des Gesundheitswesens schlicht überfordert oder wüssten nicht, von welcher Stelle Informationen zu medizinischen Themen zu beziehen sind. Hier sieht Dr. Landgraf bei der Ärzteschaft eine große Verantwortung. Nur 40 % der Ärzte weisen ihre Patienten auf gute Infoquellen hin, bei 60 % sei das noch nicht der Fall. Dabei seien die negativen Konsequenzen einer niedrigen Gesundheitskompetenz bekannt: Ein schlechterer subjektiver Gesundheitszustand, schlechtere Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten, häufigere Arztkontakte sowie eine häufigere Nutzung des ärztlichen Notfalldienstes. Auch im Falle von Non-Compliance sei es wichtig, Patienten nicht zu verurteilen. Man müsse mit den Patienten reden, warum ärztlichen Anweisungen nicht gefolgt wird, gemeinsam Lösungen besprechen – und auch die negativen Folgen aufzeigen, wenn Therapieansätze nicht weiter verfolgt werden.

Prävention ist wichtigste Aufgabe der Hausarztmedizin

Generell ist Prävention laut Dr. Landgraf eine der wichtigsten Aufgaben in der Hausarztpraxis. Mittels digitaler Unterstützung – etwa PVS oder DiGAs – müssten Hausärztinnen und Hausärzte sich dafür einsetzen, dass regelmäßig Check-ups durchgeführt werden. Teil der Prävention sei zudem die Unterstützung der Compliance und die Förderung von Gesundheitskompetenz bei Patientinnen und Patienten. 

Eine größere Rolle in der Zukunft der Hausarztmedizin könnte auch die Künstliche Intelligenz spielen. Mitte des 20. Jahrhunderts verdoppelte sich das medizinische Wissen noch alle 50 Jahre – seit 2020 verdoppelt es sich voraussichtlich alle 73 Tage, so Landgraf. Hier könnte die KI ins Spiel kommen. Mit einer rasanten Entwicklung des medizinischen Wissens kommt es auch zu großen individuellen und elektronisch verfügbaren Datenmengen. Um eine zunehmende Anzahl an Patienten zu behandeln, über immer komplexere diagnostische und therapeutische Optionen den Überblick zu behalten und um der zunehmenden Problematik, Facharzt-Termine zu bekommen, entgegenzuwirken, könnten digitale Lösungsansätze für Hausärzte Abhilfe schaffen.

Dr. Landgraf fasst zusammen, was die Arbeit als Hausärztin oder Hausarzt für sie zu etwas Besonderem macht:

Weitere Highlights vom DGIM 2023 finden Sie in unserer Kongressberichterstattung.

Quelle:

Dr. med. Irmgard Landgraf: Internist:innen als Hausärzt:innen – Exitstrategie oder von Anfang an eine gute Idee?, in: Fachärzt:in und was dann? – Ambulante Karrieren in der Inneren Medizin; 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. 24.04.2023, 14.45 Uhr.