Pneumologie und Dermatologie: interdisziplinär besonders stark

Interdisziplinäre Zusammenarbeit: Bereits jetzt spielt sie in der Medizin eine immer größer werdende Rolle, in der Zukunft wird sie unerlässlich sein. Warum das so ist, erklärt Prof. Gläser am Beispiel der Pneumologie und Dermatologie.

Interview mit Prof. Dr. med. Sven Gläser

Herr Dr. Gläser, auf der 52. Tagung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft haben Sie über das Thema “Von der Diagnose zur Therapie – Die Pneumologie, ein starker Partner” gesprochen. 
Was macht Dermatologie und Pneumologie zu besonders wichtigen Partnern?

Gläser: Zwischen unseren Fachgebieten, die ihre frühen Wurzeln in der Inneren Medizin haben, gibt es sehr viele Verwandtschaften, aus denen Aufgabengebiete entstehen, die sich clustern lassen: Von der Behandlung von Malignomen – also Tumordiagnostik, Tumortherapie und deren Nachwirkungen – bis zur Infektiologie, müssen wir in vielerlei Hinsicht zusammenarbeiten. Sehr offensichtliche Bereiche sind natürlich die Allergologie, die ein großes dermatologisches Thema darstellt, und dazugehörig Asthma bronchiale als wichtiges pneumologisches Thema. 

Sehr häufig kommt es auch bei seltenen Systemerkrankungen, die aus dem dermatologisch-rheumatologischen Formenkreis kommen, zu Manifestationen an der Lunge. Dabei handelt es sich um schwerwiegende Krankheiten, die eine Fachdisziplin allein überhaupt nicht diagnostizieren und behandeln kann. Hier muss ganz sicher zusammengearbeitet werden. Insofern gibt es unheimlich viele Alltagsbeispiele, bei denen eine gute Vernetzung von Fachdisziplinen hilfreich für Ärzte und natürlich auch die Patienten ist.

Wie Sie bereits erwähnten, spielen in der potentiellen Zusammenarbeit zwischen Pneumologie und Dermatologie auch seltene Erkrankungen eine wichtige Rolle. Welche Rare Diseases sind hierbei besonders relevant?

Gläser: Viele dieser seltenen Krankheiten haben eine Manifestation an Haut und Lunge. Ein Beispiel ist etwa die Systemische Sklerose – im Volksmund als Sklerodermie bekannt –, bei der die Manifestation des Lungengewebes mitentscheidend für die Lebenserwartung von Patienten ist. Auch Dermatomyositis oder Polymyositis gehen häufig mit schweren Lungenmanifestationen einher. Bei einigen Verlaufsformen, zum Beispiel dem MDA5-Syndrom, kommt es auch vor, dass Patienten schnell aufgrund der Lungenmanifestation auf Intensivstation müssen. Numerisch handelt es sich hierbei nach wie vor um sehr seltene Krankheiten, die nicht jeden Tag, sondern ein paar Mal pro Jahr diagnostiziert werden, aber gerade aus diesem Grund ist an dieser Stelle die Zusammenarbeit so wichtig. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, dass man die Zusammenarbeit gut gestaltet und organisiert, damit auch nicht alltägliche Situationen gemeistert werden können. 

Sie haben im Rahmen Ihres Vortrags erwähnt, dass Sie den Begriff “Lungenfibrose” als äußerst unglücklich empfinden. Warum ist das der Fall?

Gläser: Bei der Lungenfibrose handelt es sich um einen sehr groben Überbegriff, dahinter verbergen sich sehr unterschiedliche Krankheiten. Je nachdem, wie weit man eine Unterteilung vornimmt, findet man unter dem “Dach”-Begriff Lungenfibrose 200 bis 300 verschiedene Krankheiten. Wenn ein Patient mit dem Wort “Lungenfibrose” konfrontiert wird, ohne dass es weiter differenziert wird, hat das oft ungünstige Folgen. Was das auslöst, kann man am besten sehen, wenn man den Begriff einfach einmal bei Google sucht: Man findet viele schlechte Nachrichten, zum Beispiel über eine geringe Lebenserwartung oder Verweise auf Lungentransplantationen. Das ist in vielen Fällen aber überhaupt nicht gerechtfertigt und viele Formen der Lungenfibrose sind nicht so dramatisch, wie medizinische Laien das dann schnell für sich abspeichern. Deshalb ist eine differenzierte Betrachtung aus unserer Sicht ganz wichtig. Man darf es nicht allein bei dem Oberbegriff belassen, weil sich dann keine zielgerichtete Behandlung durchführen lässt, da viele Formen der Erkrankung sehr unterschiedlich sind.

Nehmen wir als anderes Beispiel den Begriff “Krebs”. Wird gesagt, dass jemand Krebs hat, dann klingt das natürlich zunächst schrecklich. Hier ist es aber viel etablierter zu sagen, dass es eben nicht den einen Krebs gibt, sondern unendlich viele Malignome. Viele Malignome sind heute gut behandelbar und die Lebenserwartung ist mitunter vielleicht sogar normal, bei anderen ist der Verlauf sehr schlecht. Man käme hier nicht auf die Idee, mit der konkreten Benennung der Krankheit aufzuhören, sondern richtet immer den Blick darauf, wo der Krebs konkret herkommt und wie er sich genau charakterisieren lässt. Bei der Lungenfibrose ist das eine ähnliche Konstellation: Es handelt sich um einen Überbegriff für viele Krankheiten mit sehr unterschiedlichen Verläufen. 

Welche diagnostischen Schritte sollten unternommen werden, um eine ILD bei Patienten auszuschließen?

Gläser: Am wichtigsten ist es zunächst im Hinterkopf zu behalten – das war einer der wichtigsten Punkte meines Vortrags –, dass es bei bestimmten Krankheiten eine Koinzidenz an Manifestationen gibt. Der erste Schritt liegt in einer Awareness und einer entsprechenden Befragung von Patienten mit Fokus auf Anamnese, klinische Untersuchungen, Auskultationsbefund einschließlich des Befundes einer Sklerosiphonie. So lange der Verdacht im Raum bleibt, dass hier eine Lungenmanifestation vorliegen könnte, ist der nächste Schritt ein hochauflösendes CT, also HRCT. Dann beginnt die spezifische Diagnostik und die Kooperation unserer Fachgebiete, wenn es zu Auffälligkeiten kommt.    

Bei welchen Anzeichen sollten Hausärzte unmittelbar den Kontakt mit pneumologischen und dermatologischen Spezialisten aufnehmen?

Gläser: Aus pneumologischer Perspektive ist es wichtig zu wissen, dass Symptome vielleicht nicht immer so klassisch sind, wie man sich das vorstellt. Ausgeprägte Luftnot tritt beispielsweise erst sehr spät im Verlauf vieler Erkrankungen auf. Hier ist also oberstes Gebot, bereits vorher aufmerksam zu werden. Viele Beschwerden, die Patienten schildern, sind oftmals subtil. Erste Anzeichen können von Müdigkeit, Abgeschlagenheit oder Leistungsinsuffizienz hin zu Husten - insbesondere trockenem Reizhusten - reichen. Dann ist es wichtig, dass die Patienten klinisch untersucht werden. Kommt es dabei zu Auffälligkeiten, ist der Schritt zum Spezialisten sinnvoll. 

Aus dermatologischer Perspektive ist das ganze vielleicht noch einfacher, weil es zu offensichtlichen Hauterscheinungen kommt, die zur Überweisung in die dermatologische Praxis führen. Auch hier ist es wichtig, Auffälligkeiten ernst zu nehmen. Vielleicht würde ein Dermatologe die Frage aber auch anders beantworten als ich mit der pneumologischen „Brille“.

Was sind Ihrer Ansicht nach die aktuell größten Hoffnungsträger in der Therapie von Krankheitsbildern mit sowohl pneumologischer als auch dermatologischer Systembeteiligung?

Gläser: Je nachdem, welche Diagnose gestellt wird, gibt es inzwischen zahlreiche etablierte Behandlungen. Welche Behandlung zur Anwendung kommt, hängt immer davon ab, welche Diagnose letztendlich gestellt wird. Genau deshalb ist es so wichtig, nicht beim Begriff "Lungenfibrose" zu verbleiben. Was auch hoffnungsvoll stimmt: Neben den bislang zugelassenen Medikamenten mit antientzündlicher oder antiproliferativer Wirkung, etwa Nintedanib, bewegt sich aktuell sehr viel im Bereich von Studien und Zulassungen. Man darf also optimistisch sein, dass sich auf dem Gebiet noch viel entwickeln wird. Letzten Endes müssen wir abwarten, welche Medikamente es dann tatsächlich bis zur Zulassung schaffen, aber auf jeden Fall wird aktuell intensiv geforscht. 

Was nehmen Sie als persönliches Highlight vom DDG-Kongress 2023 mit?

Gläser: Eine sehr gute Intention der Veranstaltung ist der Aufruf zur interdisziplinären Zusammenarbeit, also der gemeinsamen Erstellung von Abläufen und einem fächerübergreifenden Kennenlernen. Das muss noch viel alltäglicher werden, als es momentan der Fall ist. Hierbei handelt es sich um einen Aspekt, von dem gerade die Patienten konkret profitieren. Es gibt viele Fragen, die eine medizinische Fachdisziplin für sich alleine nicht managen kann. Hier besteht der Bedarf an Kooperationen und Patientenpfaden. In dieser Hinsicht besteht Verbesserungsbedarf, aber gerade diese Aspekte betrachte ich in höchstem Maße als Outcome-relevant. 

Prof. Dr. med. Sven Gläser

Prof. Dr. med. Sven Gläser ist seit 2016 Chefarzt der Klinik für Innere Medizin – Pneumologie am Vivantes Klinikum Neukölln und Spandau und Stellvertretender Ärztlicher Direktor am Vivantes Klinikum Neukölln. Seine fachlichen Schwerpunkte liegen in den Bereichen Innere Medizin, Pneumologie, Infektiologie, Allergologie sowie Intensivmedizin

Weitere Highlights von der 52. Tagung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft finden Sie in unserer Kongressberichterstattung.